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Andreae, Bernard
Schönheit des Realismus: Auftraggeber, Schöpfer, Betrachter hellenistischer Plastik — Mainz, 1998

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https://doi.org/10.11588/diglit.14992#0181

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Die Skyllagruppe von Rhodos als Vorläufer des Grossen Altares von Pergamon

eine evidente Übereinstimmung mit Elementen der Skyllagruppe
zeigt, als dass man völlige Unabhängigkeit annehmen dürfte. Der
Friesmeister muss die Skyllagruppe gekannt und ihre Form in sich
aufgenommen haben, um sie so eigenständig und interessant als
Anregung für seine eigene Kunst einsetzen zu können. Daran ist
auch nichts Unwahrscheinliches, weil man aus den Bildhauerin-
schriften am Altar weiss, dass nicht wenige der Steinmetzen von der
Insel Rhodos kamen. Wenn die Bildhauerwerkstätten, in denen sie
gelernt hatten, auf Rhodos lagen, dann ist es nicht schwierig, sich
vorzustellen, dass auch der leitende Meister, selbst wenn er Athener
war, Rhodos besucht und dort die Skyllagruppe gesehen hatte.

Zum weiteren Beweis dafür, dass dies der Fall war, sei auf eine be-
sonders charakteristische Figurenzusammenfügung hingewiesen,
die ohne das Vorbild der Skyllagruppe schlechterdings unverständ-
lich wäre. Die im Rahmen der Beine des Odysseus sichtbare Figur
des zwischen Maul und Pranken des Hundes und dem Fisch-
schwanz eingeklemmten Mannes ist ein besonders eindrucksvolles
Motiv, das die unerschöpfliche Phantasie des Skyllameisters ge-
schaffen hat. So erstaunlich diese Figur ist, so natürlich und selbst-
verständlich sind alle ihre Bewegungen. Der Mann greift mit dem
fast nicht mehr beweglichen linken Arm über seinen Kopf, der un-
geheuer schmerzen muss vom erbarmungslosen Biss des Hundes in
die Kalotte. Dabei bekommt der Mann die Schnauze des Hundes zu
fassen und spürt, wie sein Zeigefinger in den linken Augenwinkel
des Hundes sinkt. Instinktiv krümmt er den Finger zu einem Ha-
ken, der in das Weichteil eindringt und im nächsten Moment das
Auge des Tieres herausreissen wird. Der ganze blutrünstige Vor-
gang ist nicht unmittelbar ins Blickfeld gerückt, sondern vollzieht
sich mit der gleichen Selbstverständlichkeit, mit der alle verwickel-
ten Bewegungen des Mannes erfasst sind, zum Beispiel, wie er in
diesem Augenblick furchtbaren Schmerzes in einer Reflexbewegung
das linke Bein hochwirft (S. 173).

Vergleicht man den Gefährten, der dem Hund der Skylla ein Au-
ge ausreisst, mit der Darstellung eines ähnlichen Vorgangs am Per-
gamonaltar, nämlich mit dem zu Füssen von Artemis vornüber nie-
dersinkenden Giganten, der von ihrem Hund in den Schädel gebis-
sen wird, dann wird einem bewusst, dass der Entwerfer dieses Mo-
tivs ohne das Vorbild der Skyllagruppe kaum zu seiner im Grunde
merkwürdigen Darstellung hätte finden können. Auch der Gigant
will dem Hund mit gekrümmtem Finger ein Auge ausreissen. Ohne
sehen oder fühlen zu können, wo sich das Auge des Hundes befin-
det, hebt er seinen angewinkelten linken Arm parallel zur Relief-
ebene hoch und trifft erstaunlich zielsicher den Augenwinkel. Die
Bewegung, die sich beim Gefährten des Odysseus aus der schreck-
lichen Situation ergibt, in die er geraten ist, wird hier zur kunstvoll
inszenierten Geste, die das Blutrünstige ästhetisiert. Auch wie die

1

Ge im Rahmen
der Beine

von Atlwna und Nike
und Herausreissen
des Auges
eines Hundes
am Ostfries des
Pergamonaltares

177
 
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