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Andreae, Bernard
Schönheit des Realismus: Auftraggeber, Schöpfer, Betrachter hellenistischer Plastik — Mainz, 1998

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https://doi.org/10.11588/diglit.14992#0203

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Apollonios und Tauriskos von Tralleis: Die Dirkegruppe

phion, Dirke und dem Stier in ihrer Aktion sieht, müsste eigentlich
die vom Künstler bestimmte Hauptansicht sein. Das wird eindeu-
tig durch die Nebenüberlieferung und insbesondere durch das
dem Original zeitlich und formal besonders nah stehende Relief
auf dem Brustpanzer der Statue des Marcus Antonius in Naxos be-
stätigt.

In der römischen Kopie der Gruppe wurde aber eine von Plinius
für das Original nicht erwähnte, in der Nebenüberlieferung nicht
begegnende und die Komposition störende Figur hinzugestellt. Es
ist eine Frauenfigur im Typus der Gewandstatuen, die für die Dar-
stellungen römischer Kaiserinnen beliebt waren. Wahrscheinlich
liegt diesem Typus die Schöpfung der Venus Genetrix von Arkesila-
os aus dem 46 v. Chr. eingeweihten Venustempel auf dem Caesarfo-
rum in Rom zugrunde. Ein zwischen 48 und 46 v. Chr. geschaffener
Figurentypus kann nicht im Original der Gruppe vorhanden gewe-
sen sein, das mehr als hundert Jahre früher, vor dem Tode Eumenes'
II. im Jahre 159/158 v. Chr. entstanden sein muss. Die Hinzufügung
dieser unbeteiligt dabeistehenden Figur, die offenbar Antiope dar-
stellen soll, lässt sich bei einer claudischen Enstehungszeit der Ko-
pie um die Mitte des ersten Jahrhunderts n. Chr. ohne Schwierigkeit
erklären. Sie erinnert hier schon durch ihr Gewand an die Mutter
des Kaisers Claudius, Antonia, die der Kaiser auch in Baiae
posthum als Augusta darstellen liess.

Kaiser Claudius hatte eine besondere Beziehung zum Mythos der
Antiope, den er sowohl aus dem griechischen Original des Euripi-
des von ca. 430 v. Chr. als auch aus der römischen Übersetzung des
Tragödiendichters Paccuvius (220-130 v. Chr.) kennen konnte. Euri-
pides gibt hier in der Charakterisierung der beiden Brüder Amphi-
on und Zethos eine Definition des Unterschiedes der vita activa und
der vita contemplativa, die für alle Zeiten grundlegend bleiben sollte.
Diese Charakterisierung ist in den Fragmenten der Tragödie bis
heute erhalten. Es heisst darin: "Die mangelnde Kraft und die Zart-
heit meines Körpers tadelst du zu Unrecht; denn wenn ich Verstand
besitze, ist das besser als ein starker Arm (frgt. 199). Denn durch das
Denkvermögen des Menschen werden Städte gut verwaltet, ebenso
Häuser, auch verleiht es Überlegenheit im Kriege; denn ein kluger
Plan besiegt viele Hände, und der grösste Nachteil der grossen Mas-
se ist der fehlende Verstand (frgt. 200). Glückselig ist, wer aus For-
schung Wissen gewonnen hat und nicht darauf aus ist, den Bürgern
Leid zuzufügen und unrecht zu tun, sondern auf die ewige Ord-
nung der unsterblichen Natur blickt und fragt, wie sie entstanden
ist und woraus und wodurch. Er wird sich niemals schändlichem
Tun hingeben (frgt. 227+1)." Diese interessante Charakterisierung
konnte Kaiser Claudius ohne weiteres auf sich in bezug auf seinen
stärkeren, kühnen (so Zethos frgt. 194) Bruder Germanicus bezie-
hen, dem er seinen Aufstieg zum Thron verdankte.

Antiope aus
der Gruppe
des Farnesisclwn
Stieres

199
 
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