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Andreae, Bernard
Schönheit des Realismus: Auftraggeber, Schöpfer, Betrachter hellenistischer Plastik — Mainz, 1998

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https://doi.org/10.11588/diglit.14992#0205

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Apollonios und Tauriskos von Tralleis: Die Dirkegruppe

der Charakterisierung des musischen Amphion für genau getroffen
halten musste. Er wollte offenbar, dass dem Betrachter die Worte
des Euripides in der Paccuvius verdankten lateinischen Version im
Ohr klangen und er sich denken sollte, welches Glück es sei, einen
solchen Kaiser zu haben, der durch sein Denkvermögen den Staat
gut verwaltet und dem dieses Denkvermögen auch Überlegenheit
im Kriege gibt; der nicht darauf aus ist, den Bürgern Leid zuzufü-
gen und unrecht zu tun, sondern auf die ewige Ordnung der un-
sterblichen Natur blickt. Selten kann man wie im Fall des Farnesi-
schen Stiers ein von den Römern sich angeeignetes hellenistisches
Bildwerk so deutlich mit Worten zum Sprechen bringen, die den an-
tiken Betrachtern geläufig waren und zu einem unmittelbaren Ver-
ständnis der Absicht des Auftraggebers führten.

In Sperlonga hatte der Vorvorgänger des Kaisers Claudius, Tibe-
rius, den von ihm in Auftrag gegebenen Kopien hellenistischer
Skulpturengruppen die Worte des zeitgenössischen Dichters Ovid
unterlegt. Das ist nicht unähnlich wie das Vorgehen des Claudius
bei der von ihm in Auftrag gegebenen Kopie der Dirkegruppe, er-
scheint bei dieser aber weniger vordergründig. Tiberius wollte
Odysseus als seinen Ahnherrn herausstellen. Claudius wollte hin-
gegen sich selbst und seinen Bruder durch die Worte des Dichters
charakterisieren, die dem Betrachter vor dem Werk in den Sinn
kommen mussten.

Diese von Claudius mit beträchtlicher Intelligenz ins Werk ge-
setzte Ansprache der Bilder an sein Volk führt zu der Frage weiter,
was denn das Original aussagen sollte. Man erinnert sich dann dar-
an, dass schon in hellenistischer Zeit zwei Brüder sich nachweislich
in den Söhnen der Antiope spiegelten und den Mythos in einem
Säulenrelief des Totentempels ihrer Mutter darstellen Hessen, um
ihre eigene Mutterliebe derjenigen von Amphion und Zethos
gleichzusetzen. Diese Reliefs sind verloren und nur durch be-
schreibende Gedichte im dritten Buch der Autlwlogia Gracca be-
kannt. Die beiden Brüder waren Eumenes II. und Attalos II. von
Pergamon, und die in der Atühologia Graeca beschriebenen Reliefs
wurden um 174 v. Chr. geschaffen. Das führt zu der Überlegung,
dass die beiden Bildhauer Apollonios und Tauriskos, die nach Pli-
nius die Dirkegruppe schufen, aus Tralleis stammen und dass Tral-
leis zur Zeit, wohin der auch in der Kopie getreu überlieferte Stil
der Gruppe sie weist, eine Stadt unter der Botmässigkeit von Per-
gamon war. Man muss deshalb annehmen, dass die marmorne Dir-
kegruppe von Rhodos, die von Asinius Pollio nach Rom gebracht
und dort öffentlich ausgestellt wurde, nach Rhodos als eine Stif-
tung der Attaliden Eumenes II. und seines Bruders Attalos gekom-
men war, die den Auftrag zur Schaffung des Kunstwerkes ihren
Untertanen Apollonios und Tauriskos aus Tralleis gegeben hatten.
Nur diese Annahme macht die beabsichtigte Aussage der riesigen

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