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Andreae, Bernard
Schönheit des Realismus: Auftraggeber, Schöpfer, Betrachter hellenistischer Plastik — Mainz, 1998

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https://doi.org/10.11588/diglit.14992#0210

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Apollonios und Tauriskos von Tralleis: Die Dirkegruppe

wickelt und, wenn man so will, auf die Spitze getrieben. Auf jeden
Fall beweist es den pergamenischen Ursprung der Kunst des Apol-
lonios und Tauriskos aus der pergamenischen Stadt Tralleis.

34. Boethos, Sohn des Athenaios, von Kalchedon:
Der Ganswürger

Nach der grossen pyramidalen Dirkegruppe die kleine des Gans-
würgers zu betrachten verlangt das gleiche Einfühlungsvermögen,
das die gesamte hellenistische Kunst bei ihrem Publikum voraus-
setzte. Sie tendierte zu Extremen, schuf neben dem 32 Meter hohen
Koloss von Rhodos das miniaturhaft feine, aus Gold getriebene
Zweigespann der Nike in Boston.

In der Gruppe des Ganswürgers messen zwei ungleiche, aber an
Grösse, oder besser, in den kleinen Dimensionen ähnliche Figuren
ihre Kräfte: Ein nicht ausgewachsenes Kind von vielleicht drei Jah-
ren und eine ausgewachsene Gans, die aber naturgenäss nicht grös-
ser ist als das Kind. Wer einmal auf einem Bauernhof war, weiss,
dass Gänse sehr aufgeregt und wild sein können, und es fällt
schwer, sich vorzustellen, dass ein kleines Kind den Mut hat, ein sol-
ches flügelschlagendes, wütende Zischtöne von sich gebendes Un-
tier zu packen und mutwillig zu strangulieren. Eine solche Gans hat
dieses Kind mit beiden Armen am Hals gepackt und klemmt zu-
gleich den einen flatternden Flügel ein, so dass der grosse Vogel ge-
fangen scheint. Dieser drängt jedoch den Knaben nach vorn, der
sich schräg zurücklehnt und der Gans den Hals mit pfiffigem Ge-

Ganswürger des sichtsausdruck zuzudrücken versucht. Das Ganze bietet sich dar als

Boethos,
Paris, Louvre;
München

Auch Seite 207:

eine reine Genreszene, und man sucht vielleicht vergeblich nach ei-
ner irgendwie gearteten Botschaft an den Betrachter. Zuallererst ist
Glyptothek es ^e Sache selbst, das halb spassige, halb ernsthafte Spiel des mol-

Um 164 v. Chr. ligen Kindes mit der erregten Gans, das den Betrachter fesselt.

Betrachtet man die Gruppe des Ganswürgers unter rein ästheti-
schen Gesichtspunkten, dann erweist sie sich im Aufbau und im Stil
der Dirkegruppe in ihrer als die originale erschlossenen Form er-
staunlich ähnlich. Auf einer Rundbasis erhebt sich eine Pyramide
über den fünf den Boden berührenden Punkten, nämlich den beiden
Füssen des Knäbleins, den beiden mit ihren Schwimmhäuten sich
spreizenden Ständern der Gans und ihrem gefiederten Schwanz,
mit dem sie sich vom Boden abzustemmen scheint. Das Fünfeck ist
nicht so regelmässig in den idealen Kreis der Basis einbeschrieben
wie bei der Dirkegruppe, es ist aber noch viel deutlicher, weil es
nicht nur die äusseren Füsse sind, die die Spitzen des Fünfecks mar-
kieren, sondern alle den Boden berührenden Elemente. Die Gruppe
besteht ja auch nur aus zwei Körpern und nicht aus vier oder fünf
wie die Dirkegruppe, wenn man den Hund hinzuzählt.
 
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