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Andreae, Bernard
Schönheit des Realismus: Auftraggeber, Schöpfer, Betrachter hellenistischer Plastik — Mainz, 1998

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https://doi.org/10.11588/diglit.14992#0222
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Die Laokoongruppe

wäre. Obwohl er erst spät, nachdem alle anderen Anwärter gestor-
ben waren, auf den Thron gelangte, schien er vom Schicksal für
diesen bestimmt. Daran erinnerten sowohl die Skulpturen von
Sperlonga als auch die Laokoongruppe.

Diese muss nicht allzu lange nach den spätestens 26 n. Chr. voll-
endeten Skulpturen von dem genannten consilium in Auftrag gege-
ben worden sein, weil dieses consilium bis auf drei Mitglieder 31 n.
Chr. ausgelöscht wurde. Da die rhodischen Kopisten schon tätig ge-
wesen sein müssen, bevor Tiberius sie nach seiner Adoption durch
Augustus im Jahre 4 n. Chr. engagierte - doch wohl, weil er sie aus
Rhodos kannte, das er 2 n. Chr verlassen hatte -, muss das Jahr 31
n. Chr. sowieso ein eher spätes Datum für den Auftrag des consilium
gewesen sein. Dieser Auftrag dürfte vielmehr schon längst vor der
Übersiedlung des Tiberius nach Capri wegen des Steinschlags von
Sperlonga im Oktober 26 n. Chr erfolgt sein, weil die Gruppe in
Rom stand, wohin Tiberius nicht mehr zurückkehren sollte.

Auf jeden Fall lassen sich alle zunächst seltsam, unvereinbar und
ohne jede Beziehung zueinander erscheinenden Nachrichten über
die Laokoongruppe und ihre auch in Sperlonga tätigen Bildhauer
ohne Schwierigkeiten erklären, wenn man den Text des Plinius (nat.
36, 37) richtig übersetzt und das dort erwähnte consilium mit dem
von Sueton erwähnten Staatsrat des Tiberius gleichsetzt. Man kann
dem die längste Zeit missverstandenen Satz des Plinius jedenfalls
zusammenfassend entnehmen, dass dieser Autor die vom Staatsrat
des Tiberius in Auftrag gegebene und aus dem Besitz des Kaisers in
den des Titus übergegangene Marmorkopie dem hellenistischen
Bronzeoriginal schlicht und einfach vorzog.

Auch wir müssen deshalb, nachdem "die Hülle von halbem Ver-
ständnis und Missverständis" abgestreift ist, die sich um die Laoko-
ongruppe gelegt hatte, diese als eine gewöhnliche römische Mar-
morkopie des frühen ersten Jahrhunderts n. Chr. betrachten. Sie un-
terscheidet sich von solchen nicht als Kunstwerk, sondern nur auf-
grund ihrer bewegten Geschichte, also nicht im Grundsätzlichen,
wohl aber in ihrer herausragenden Qualität und im Interesse, das
sie hervorgerufen hat.

Das durch die Marmorgruppe im Vatikan repräsentierte verlore-
ne Original, das wir wie die Dirkegruppe und viele andere nur aus
einer einzigen stilgetreuen Kopie, nämlich der soeben erwähnten
kennen, ist das Werk, für das dieses Buch sich besonders zu interes-
sieren hat. Es ist das Kunstwerk, das wegen seiner unklaren Stel-
lung in erster Linie für die grosse Verwirrung in der wissenschaftli-
chen Erforschung der Entwicklungsgeschichte hellenistischer Pla-
stik verantwortlich zu machen ist. Wenn einmal, gegen den Wider-
stand aller, die gerne irgendwie an der durch die Signatur der Skyl-
lagruppe obsolet gewordenen Datierung des vermeintlichen Ori-
ginals in die zweite Hälfte des ersten Jahrhunderts v. Chr. festhalten

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