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Andreae, Bernard
Schönheit des Realismus: Auftraggeber, Schöpfer, Betrachter hellenistischer Plastik — Mainz, 1998

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https://doi.org/10.11588/diglit.14992#0224

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tritt die Göttin Athena heran und schickt ihre Schlangen aus, um das
Urteil zu vollstrecken. Sie ergreift Laokoon an den Haaren und
zwingt ihn wie ein Opfertier nieder auf den Altar. Laokoon versucht,
obwohl von den Schlangen gefesselt, sich durch das Drängen seines
Körpers nach links und durch ein Sich-Abstossen mit der linken Fuss-
spitze von dem Griff in seine Haare zu lösen. Doch die Göttin, deren
unsichtbare Gegenwart das weit zur Seite gerissene Haupt des Lao-
koon bezeugt, ist stärker. Der Tod des Priesters wird zum Vorzeichen
des Untergangs der Stadt, das nur Aeneas richtig zu deuten vermag,
während die verblendeten Trojaner glauben, Laokoon büsse seinen
Frevel zu Recht, weil er das Pferd mit der Lanze verletzte.

Dieser Augenblick, in dem der Betrachter von dem gleichen Grau-
en gepackt wird, das die Trojaner angesichts des Trojanischen Pfer-
des beschlich, ist der vom Künstler für die Darstellung gewählte.
Dass eine göttliche Gewalt am Werk ist, glaubt man nicht nur an
dem zur Seite gerissenen Haupt des Priesters zu sehen, sondern
auch an dem intelligenten, planvollen Vorgehen der von der Göttin
gesandten Würgeschlangen. Entgegen der Natur sind sie zusätzlich
mit Giftdrüsen ausgestattet und können auch geübte Ringergriffe
vollziehen. Man sieht, wie die von rechts kommende Schlange die
Beine des älteren Sohnes und des Laokoon aneinander fesselt, das
rechte Knie des Vaters einknickt, den jüngeren Sohn mit einem Rin-
gergriff packt, den man in der Fachsprache Doppelnelson nennt,
und, nachdem alle Figuren gefesselt sind, ihr Gift in die Leber ihres
Opfers spritzt.

Zur gleichen Zeit hat die von links kommende Schlange das rech-
te Handgelenk des Vaters mit einer Achterschlingung ihres Leibes
an den Oberarm gefesselt, so dass die Hand des starken Mannes leer
in der Luft hängt und nicht mehr zugreifen kann. Hinter dem
Rücken des Mannes herschiessend, hat die Schlange den ausge-
streckten rechten Arm des älteren Sohnes umwunden und fällt nun
den Vater an, der das Tier hinterm Kopf ergreift, um es von sich
fernzuhalten. Doch die Schlange zwängt den glatten Körper, sich
dünn machend, durch die geballte Faust und schlägt, in einem S-
Schwung ausholend, die Zähne in die Trochantergrube des Mannes.
Das Gift dringt in seinen Körper ein, und er bäumt sich sterbend
auf. Seine Bauchmuskulatur verkrampft sich, die Brust ist zum Ber-
sten gefüllt, doch dem halb geöffneten Mund kann sich nur ein
Stöhnen entringen, weil die erstarrte Muskulatur das Atmen ver-
hindert. Die anklagend zum Himmel erhobenen Augen brechen.

Diese zunächst mehr den Inhalt als die gewählte Form ins Auge
fassende Interpretation der Gruppenkomposition bestätigt sich,
wenn man erkennt, welche Motive der Schöpfer dieser Gruppe sich
zum Vorbild nahm und wie er mit der Übernahme dieser Motive zu-
gleich wichtige inhaltliche Komponenten mit einfliessen Hess.

Die genaue Ubereinstimmung des Bewegungsmotivs des Laoko-
 
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