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Andreae, Bernard
Schönheit des Realismus: Auftraggeber, Schöpfer, Betrachter hellenistischer Plastik — Mainz, 1998

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https://doi.org/10.11588/diglit.14992#0225
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Die Laokoongruppe

on mit dem des Alkyoneus vom Ostfries des Pergamonaltares ist
vom Augenblick der Entdeckung desselben an gesehen worden. Da-
mals soll ein an der Ausgrabung Beteiligter ausgerufen haben: "Jetzt
haben wir auch unseren Laokoon!" Die Übernahme des Motivs ist
zweifellos beabsichtigt, denn der Plastiker, dem die Schöpfung der
Laokoongruppe verdankt wird, ist seiner selbst viel zu sicher, als
dass er ohne guten Grund eine Anleihe bei einem anderen machen
musste. Er wollte offenbar zeigen, dass Laokoon, nicht anders als
der Riese Alkyoneus, für seine Hybris bestraft und von Athena am
Schopf gepackt wird, während die eine ihrer Schlangen sein Bein
einknickt und und die andere ihm die Giftzähne in den Leib schlägt.
Die Abwandlungen der Motive sind souverän und so genau be-
dacht, dass man die Auseinandersetzung mit dem Vorbild sieht,
aber nicht als sklavisch und unangenehm empfindet. Gleichwohl
muss man eigentlich die Athena-Alkvoneus-Gruppe vom Ostfries
des Pergamonaltares genau kennen, um alle Nuancen der Laokoon-
gruppe zu begreifen. Ohne diese erfasst man weder die in seiner
Grösse gigantengleiche Hybris des Priesters, noch sieht man ohne
weiteres Athena im Vollzug des Opfers vor seinem inneren Auge.
Das dürfte im Altertum nicht anders gewesen sein als heute.

Man kann aus diesem Sachverhalt eigentlich nur einen Schluss
ziehen: Die Laokoongruppe ist von ihrem Schöpfer für Betrachter
bestimmt worden, die den Pergamonaltar kannten. Bei Skulpturen,
die in Athen oder Olympia oder an einem anderen Ort standen, den
gebildete Griechen öfter besuchten, konnte man vielleicht die
Kenntnis solcher Werke voraussetzen, nicht aber bei einem in Per-
gamon aufbewahrten Kunstwerk. Dieses konnten mit Sicherheit nur
in Pergamon ansässige Betrachter kennen. Diese Schlussfolgerung
führt zu der Vermutung, um nicht zu sagen Einsicht, dass die Lao-
koongruppe im Original für eine Aufstellung in Pergamon be-
stimmt war. Wer sie dort sah, fühlte sich sofort an die Athena-Al-
kyoneus-Gruppe des Grossen Altares erinnert und erfuhr so die mit
dem Kunstwerk beabsichtigte Aussage: Der Priester Laokoon wird
zur Strafe für seine gigantische Hybris von den Göttern geopfert,
nicht anders als Alkyoneus, der sich mit den anderen Giganten ge-
gen die Götter aufgelehnt hatte.

War ein Betrachter in künstlerischen Dingen besonders gebildet,
so konnte er noch mehr erkennen. Aus unserer umfassenden Kennt-
nis der Überlieferung antiker Kunst können selbst wir noch nach-
weisen, dass der Laokoonmeister in ähnlicher Weise, wie er in seiner
Schöpfung zur Vertiefung und Verdeutlichung seiner Aussage in der
Figur des Vaters die Alkyoneus-Gruppe verarbeitet hat, auch für die
beiden Söhne des Laokoon prägnante, das heisst eigentlich inhalts-
schwangere Bewegungsmotive aus der vorhergehenden Kunst über-
nommen hat. Er tat dies offenbar ganz bewusst und mit der überle-
genen Fähigkeit, diese Motive seinem Werk bruchlos einzuverleiben.

Älterer Sohn
des Laokoon
aus der Gruppe
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