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Andreae, Bernard
Schönheit des Realismus: Auftraggeber, Schöpfer, Betrachter hellenistischer Plastik — Mainz, 1998

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https://doi.org/10.11588/diglit.14992#0228
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Die Laokoongruppe

nach dem Gesagten nicht voreilig den Schluss ziehen, dass die Er-
findungskraft der Kunst erschöpft war, wohl aber, dass in dieser,
dem Ende der griechischen Kunst sich nähernden Epoche das Inter-
esse sich zu verlagern beginnt. Ein Prozess, der schon mit der Aus-
einandersetzung des Meisters des Pergamonaltares mit der als Vor-
läufer des Grossen Frieses anzusehenden Skyllagruppe begann,
setzt sich fort. Hatte sich der Pergamonmeister von der Skyllagrup-
pe nur in sehr allgemeiner Weise anregen lassen, so sehen wir bei
der Laokoongruppe einen bewussten Willen am Werk. Die Natur
dient nicht mehr unmittelbar als Studienobjekt, und die künstleri-
sche Phantasie wird nicht mehr im gleichen Masse wie früher
bemüht, aus der genauen Kenntnis der Mechanik der Glieder Moti-
ve zu entwickeln, die sich in die dargestellte Handlung am besten
einfügen, sondern in einem intellektuellen Akt werden bereits ge-
prägte Formen einer neuen künstlerischen Absicht anverwandelt.
So entstehen ungemein kunstvolle Kompositionen, und als eine der
kunstvollsten aller Zeiten ist die Laokoongruppe schon immer ge-
priesen worden. Dass bei diesem Vorgehen das Studium der Natur
ins Hintertreffen gerät, ist die andere Seite der Medaille und gehört
offenbar zu dem komplexen Vorgang der Ablösung der griechi-
schen durch die römische Kunst.

Die Laokoongruppe erhebt einen nachdrücklichen Anspruch an
den Betrachter. Ihre Ansichtsseite ist in einer Weise festgelegt wie
bei keinem vorhergehenden plastischen Bildwerk. Wenn der Be-
trachter sich nur ein wenig aus der senkrecht auf die Basis der Grup-
pe zuführenden, idealen Mittelachse nach rechts oder links bewegt,
schieben sich die Figuren optisch übereinander, und die ganze Kom-
position wird verunklärt. Der Betrachter wird gleichsam von selbst
in die Achse zurückgezwungen. Die plastische Gruppe ist bildhaft.

Doch da sie plastisch im Raum steht, verlangt sie vom
Betrachter, dass er sich in die dargestellte Szene mit hineinziehen
lässt. Dies geschieht formal, indem er sich der Gruppe in der Mittel-
achse nähert. Es hat aber auch eine inhaltliche Seite: Steht er schliess-
lich so nah vor dem Werk, dass er es genau betrachten kann, dann
steht er eben an der Stelle der Trojaner, die durch das grässliche Ge-
schehen verblendet wurden. Aber er kennt den Ausgang. Er weiss,
dass Laokoon das Gründungsopfer Roms ist und dass die Götter,
wenn sie ihrem Entschluss treu bleiben wollten, nicht anders han-
deln konnten. Die Tragödie des Laokoon ist - das begreift der an
dieser Stelle stehende Betrachter - eine Schicksalstragödie.

Nimmt auch ein Skeptiker einmal versuchsweise an, die erwähnten
Gründe reichten aus und die Gruppe stand wirklich im Bronzeoriginal
in Pergamon, so erkennt er, dass das Werk für den zeitgenössischen
Betrachter noch eine weitere, damals höchst aktuelle Bedeutung ge-
habt haben könnte. Der Name Pergamon wurde der ursprünglich
Teuthrania genannten Stadt von Übersiedlern aus Troja gegeben. Es

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