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Andreae, Bernard
Schönheit des Realismus: Auftraggeber, Schöpfer, Betrachter hellenistischer Plastik — Mainz, 1998

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https://doi.org/10.11588/diglit.14992#0255

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Der Polyphemgiebel von Ephesos

41. Der Polyphemgiebel von Ephesos

Der letzte bekannte grosse Auftrag an eine hellenistische Bildhauer-
werkstatt vor dem Epochendatum der Schlacht von Aktium im Jah-
re 31 v. Chr. stammt von jenem durch Kleopatra bezirzten Römer,
der sich ganz in die hellenistische Tradition gestellt hatte und wie
ein neuer Diadoche im Osten herrschte: Marcus Antonius. Bei dem
von ihm bestellten Werk handelt es sich um die neun Figuren eines
zwölfeinhalb Meter innerer Breite und zweieinhalb Meter hohen
Giebels des Dionysostempels von Ephesos, den Marcus Antonius
auf dem Staatsmarkt von Ephesos errichten liess. Als er sich im Jah-
re 41 v. Chr. die Welt mit Octavian geteilt hatte, wählte er diese alte
ionische Metropole als Hauptstadt seiner Reichshälfte, bevor er mit
Kleopatra nach Alexandria ging und das ptolemäische Königtum
erneuerte. Marcus Antonius liess sich, wie es zuletzt Mithridates VI.
in Kleinasien getan hatte, als neuer Dionysos verehren, und er er-
richtete dem Gott des Weines, dem er besonders zugetan war, auf
dem Staatsmarkt von Ephesos einen Tempel.

Der Tempel in Ephesos war noch nicht eingeweiht, als Marcus
Antonius 31 v. Chr. in der Seeschlacht von Aktium seinem Rivalen
Octavian unterlag und sich in Alexandria selbst tötete. Kleopatra
folgte ihm in den Selbstmord; auch Ägypten wurde römische Pro-
vinz. Damit war die Romanisierung der mittelmeerischen Welt ab-
geschlossen, und obwohl die hellenistischen Bildhauertraditionen
weiterlebten und ein Ferment der römischen Kunst bildeten, kann
man nun von einer genuin hellenistischen Kunst nicht mehr spre-
chen. Dass die Übergänge fliessend sind, bezeugt das Monument,
das als letztes hier behandelt wird, der Giebel des von Marcus An-
tonius erbauten Dionysos-Tempels von Ephesos.

Bezeichnenderweise wurden die von Marcus Antonius um 40
v. Chr. bestellten Skulpturen im Frontgiebel des damals begonne-
nen, nach höchstens zehnjähriger Bauzeit aber noch nicht ganz voll-
endeten Tempels nicht mehr versetzt, sondern sie wurden erst viel
später als Brunnenfiguren in einem zur Zeit des Kaisers Domitian 93
n. Chr. errichteten Brunnenhaus wiederverwendet. Wo sie in der
Zwischenzeit aufbewahrt wurden, ist nicht bekannt. Dass sie aber
niemals im Giebeldreieck standen, erkennt man daran, dass die
Plinthen keine Verklammerungsspuren zeigen. Eine Verklamme-
rung der Skulpturen wäre in dem 12 m über dem Fussgängerniveau
liegenden Giebelboden notwendig gewesen, konnte aber bei der
Aufstellung auf dem sichelförmigen Podium an der Wand der Brun-
nennische unterbleiben, weil sie hier keine Gefahr dargestellten wie
für die Besucher eines Tempels, die durch die Interkolumnien unter
dem Giebel in das Gebäude eintraten. Der Tempel wurde im Jahre
28 v. Chr. umgewidmet und der Göttin Roma geweiht, der als mit-

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