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Andreae, Bernard
Schönheit des Realismus: Auftraggeber, Schöpfer, Betrachter hellenistischer Plastik — Mainz, 1998

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https://doi.org/10.11588/diglit.14992#0277

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Ausblick

45. Ausblick

Am Ende der Untersuchung wendet der Blick sich zur anschlies-
senden Geschichtsperiode nach vorne. Wie kann die Kunst sich wei-
terentwickeln, nachdem mit der völligen Beherrschung aller Nuan-
cen des Realismus die Fähigkeit errungen ist, die Welt, wie sie sich
den Augen bietet, in der Kunst zu erfassen? Das Problem ist von der
Kunstgeschichtsschreibung genau gesehen worden. Schon der Be-
gründer der Kunstwissenschaft, Johann Joachim Winckelmann, war
der Überzeugung, dass nur die Griechen eine Kunst geschaffen hät-
ten, die diesen Namen verdient, und eine neuere kompetente Dar-
stellung der römischen Kunst bezeichnete dieselbe sogar als
unkünstlerisches Phänomen. Die Kunstwissenschaft konnte über
solche Urteile mit Fug und Recht hinweggehen und eine vorurteils-
lose Geschichte der Kunst aller Zeiten als historisches Phänomen
schreiben, das selbstverständlich ein künstlerisches ist.

Die römische Kunst sah sich in der Zeit, als die Weltherrschaft
Roms gesichert war, gleichwohl in einer besonderen Situation. In ei-
nem einmaligen, unwiederholbaren Prozess hatte die griechische
Kunst in geduldiger Entwicklung ihrer Mittel den Realismus in der
Wiedergabe der Welt nicht als Nachahmung, sondern als schöpferi-
sche Gestaltungsmöglichkeit erobert. Die römische Kunst der Kai-
serzeit konnte dies nicht einfach fortsetzen, sondern musste ihre ei-
gene Deutung der Welt finden. Wie dies vor sich ging und welches
die Epochen der römischen Kunst waren, ist seit dem Ende des 19.
Jahrhunderts sowohl im einzelnen als auch im Überblick ausführ-
lich dargestellt worden. Es Hess sich zeigen, dass die Kunst der rö-
mischen Kaiserzeit in erster Linie politisch bestimmt war, dass sie
aber auch in ganz neuer Weise durch spiritualistische und religiöse
Impulse und Absichten geprägt wurde. Die von der augusteischen
Kultur ins Leben gerufene kaiserzeitliche römische Kunst stellt, be-
sonders wenn man sie von ihrem Ende her betrachtet, gegenüber
der griechischen nicht nur eine Neuerung, sondern einen Rich-
tungswechsel, eine Kehrtwendung dar. Suchte die griechische
Kunst die Körperlichkeit des Lebendigen wiederzugeben, so strebte
die römische Kunst in einem unaufhaltsamen Prozess zur Entkör-
perlichung der dargestellten Wesenheiten zu gelangen. Wenn man
gezwungen ist, das ungemein verwickelte historische Phänomen
auf einen so kurzen Nenner zu bringen, wird die Aussage schlag-
wortartig. Deswegen möge ein konkretes Beispiel zeigen, was ge-
sagt werden soll.

Die beiden am stärksten die Zukunft bestimmenden Persönlich-
keiten der ersten Hälfte des ersten Jahrhunderts v. Chr., in dem sich
das Ende des Hellenismus abzeichnete und das römische Kaisertum
sich vorbereitete, waren nach allgemeiner Überzeugung der Philo-
soph Poseidonios von Apameia (135-51 /50 v. Chr.), der vielfach als

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