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Archäologisch-epigraphische Mitteilungen aus Österreich-Ungarn — 19.1896

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Szántó, Emil: Zu den Tetralogien des Antiphon
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https://doi.org/10.11588/diglit.12266#0082
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und die gegen Personen, welche sich wegen unfreiwilligen Mordes in
der Verbannung befanden und nachher eines altsichtlichen Mordes be-
schuldigt wurden, konnten füglich bei Seite gelassen werden, wenn es
sich um eine Darstellung der wichtigsten Blutprocesse handelte.

Alle drei Fälle drehen sich nun, wie gleich gezeigt werden soll,
um die Frage: Wer ist der Mörder"? oder richtiger ausgedrückt: Wer
ist der Urheber der Tödtung"? Wenn die moderne Gesetzgebung für
jedes Tödtungsdelict entweder die Absicht zu tödten — den dolus —
oder das Bewusstsein, dass die Handlung oder Unterlassung mit Gefahr
für das Leben von Menschen verbunden sei — also die culpa — er-
fordert, so schliesst sie die Frage nach der Causalität dabei nur theil-
weise ein. Es ist zwar zum Delicto sowohl des Mordes als auch der
fahrlässigen Tödtung nothwendig, dass die begangene Handlung mit
dem erfolgten Tode in einem Causalzusammenhange stehe; es ist aber
auch denkbar, dass zwischen einer Handlung und einer durch sie
erfolgten Tödtung ein Causalzusammenhang besteht, ohne dass den
Handelnden eine Verantwortung trifft, weil weder dolus noch culpa
besteht; ein solches Verhältnis hat z. B. statt, wenn bei jener Handlung
nach allgemeinen Vorstellungen oder nach Kenntnis des Handelnden
die Gefahr nicht vorauszusehen war.

Nach der ursprünglichen antiken Vorstellung, wie sie für die
heroische Zeit feststeht, ist jedoch das Vorhandensein von dolus oder
culpa völlig gleichgültig, nur der Effect und folglieh, wenn mau den
Gedanken schärfer ausdenken will, als für die heroische Zeit anzunehmen
ist, der Causalnexus zwischen That und Tödtung massgebend. Diese
Vorstellung ist zwar durch die Ausbildung der Jurisprudenz und die
Eintheilung der 8£xai tpovtxat nach der Absicht des Tödtenden gestört
worden; völlig verdrängt wurde sie aber nie. Sie fristete ihr Leben in
der religiösen Vorstellung von der Befleckung der ganzen Stadt durch
eine ungerächte Tödtung fort, und die Processe gegen leblose Dinge,
die den Tod eines Menschen verursachten, sind das beste Zeugnis dafür,
dass die Eruierung des causalen Zusammenhanges und die Bestrafung
des Urhebers, wenn ihn auch nicht einmal culpa trifft, eine Forderung
war, die nie ganz aufgehoben worden ist.2)

Wenn daher in den Kreisen nicht gerade der praktischen Juristen,
aber doch der liechtsphilosophen des fünften Jahrhunderts das Problem
der Tödtungsdelicte erwogen wurde, so spielte natürlich die Frage nach
dem aücio? in rein causalem Sinne die Hauptrolle. Der Urheber des
Todes sollte — nicht immer nach dem bestehenden, aber immer nach
dem zu erstrebenden Vernunftrecht — für die That verantwortlich

2) Vgl. Eolule, Psyche 236 ff.
 
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