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Architectura: Zeitschrift für Geschichte und Aesthetik der Baukunst — 1.1933 [ISSN 2365-4775]

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https://doi.org/10.11588/diglit.19241#0050

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blond oder den Deutschen Schlüter, den der Zar
einige Jahre nach Schlüters ungnädiger Ent-
lassung aus brandenburgischen Diensten nach
Petersburg beruft (1713), wo der Meister je-
doch schon ein Jahr später stirbt, ohne infolge-
dessen die auf ihn gesetzten Hoffnungen des
Zaren in nennenswertem Maße erfüllen zu kön-
nen. Kaum erklärt ist übrigens die merkwürdige
Tatsache, daß der Herrscher trotz seines langen
Aufenthaltes in den Niederlanden keine nieder-
ländischen Meister für den Bau Petersburgs
heranzieht, eine Tatsache, die um so seltsamer
berührt, als ihm bei der Anlage seiner Stadt be-
zeugtermaßen vielfach Amsterdam vorschwebte.
Dagegen ist eine Schar deutscher und italieni-
scher Architekten in bedeutsamen Stellungen
tätig, wie Schädel, Schwertfeger, Michetti; von
ihnen werden allmählich auch Russen zu west-
europäisch geschulten Architekten herangebildet.
Dieses Schülerverhältnis zwischen Ausländern
und Russen wird nach der Gründung der Aka-
demie der Künste in Petersburg unter Elisa-
beth typisch, wobei der Umstand bedeutsam wird,
daß Meisterschüler als Stipendiaten zur Ausbil-
dung ins Ausland, insbesondere nach Frank-
reich und Italien, gesandt zu werden pflegen.
Mit Bartolomeo Rastelli beginnt die lange Reihe
von Namen der Männer, die Rußlands Baukunst
ihr oft eigenwilliges Gepräge gaben, wenn auch
die russische Architektur in allgemeinen Zügen
der gesamteuropäischen Baukunst in ihrer Ent-
wicklung vom Barock des 18. über den Klassi-
zismus zum historizierenden Eklektizismus des
späten 19. Jahrhunderts folgt. Männer wie Rai-
naldi, Cameron und Velten, Stassow und Lwow,
wie Sokolow und Brenna, Quarenghi und Tho-
nion —• das alles sind Namen, die in Wulffs
Darstellung Leben gewinnen, während sie sonst
dem Westeuropäer vielfach in der Tat nichts
als bloße Namen sind, obwohl sie zum Teil
außerhalb Rußlands ihr Leben begannen und
— oft genug auch beschlossen. Dieser letztere
Umstand ist eine bezeichnende Folge des selbst-
herrlichen Zarismus, der es mit sich brachte,
daß fast jeder Thronwechsel auch einen Wechsel
der führenden Architekten bedingte, da der per-
sönliche Kunstwille des Herrschers sich jeweils
neuer Kräfte zur Verwirklichung seiner oft weit-
ausgreifenden Pläne bediente, wobei — nicht
zuletzt infolge des eingangs aufgezeigten Dua-
lismus — die Nationalität des jeweils bevor-
zugten Meisters überhaupt keine Rolle spielt.
Das ist sogar dann der Fall, wenn es sich um
Riesenaufgaben, wie die Errichtung der Isaaks-
Kathedrale zu St. Petersburg, handelt, mit der
1817 der damals erst 31jährige, in Frankreich
geborene Montferrand beauftragt wird. Und

doch hatte wenige Jahre vor Beginn dieses
Baues der gebürtige Russe Andrej Nikifore-
witsch Woronichin innerhalb zehn Jahren (1801
bis 1811) eine verwandte Aufgabe im Bau der
Kasan-Kathedrale zu Petersburg meisterhaft ge-
löst, während fast gleichzeitig (1806—1815)
Adrian Dmitriewitsch Sacharow den großzügi-
gen Neubau der Admiralität am Ufer der Newa
errichtet. -—• Es fällt schwer, diese bloße Buch-
besprechung nicht zu einer ganzen Skizze der
baugeschichtlichen Entwicklung Rußlands auszu-
gestalten. Doch seien nur noch zwei Tatsachen
vermerkt. Die eine, daß es merkwürdigerweise
gerade dem Russen Alexander Pawlowitsch
Brüllow in einigen der von ihm nach einer Brand-
katastrophe im Jahre 1837 neu ausgestalteten
Räumen des Petersburger Winterpalais gelang,
der Synthese gotisierender und antikisierender
Bauformen außerordentlich nahezukommen.
Diese Aufgabe beschäftigte nicht die schlechte-
sten Köpfe, gerade in Deutschland, des Klassi-
zismus und der Romantik —• in Brüllows Aus-
gestaltung des Alexandersaales zu Petersburg
scheint mir diese Verschmelzung um nichts
schlechter erreicht zu sein als etwa in den Bau-
ten der Maximilianstraße zu München. Zwei-
tens bedarf noch die national-russische Richtung
in Kultur und Kunst unter Nikolai I. (1825 bis
1855) und Alexander III. (1855—1894) einer
Hervorhebung, da sie auch zu einer Wiederbele-
bung der altrussischen Bauweise führte, wobei
ausländische Architekten wiederum maßgebend
beteiligt waren. Diese Strömung muß um so mehr
hier vermerkt werden, als gerade sie — was
Wulff zwar nicht betont — in russischen Bau-
ten auf westeuropäischen Ausstellungen und in
einigen russischen Kapellenbauten außerhalb
Rußlands fast über Gebühr zu Worte kam; denn
trotz dieses Historizismus bleibt in Rußland
selbst, sowohl in Moskau wie besonders in Pe-
tersburg, die Architektur bis zur Staatsumwäl-
zung westeuropäisch orientiert. Bis zur Revolu-
tion z. B. pflegte die Petersburger Architekten-
schule vorzugsweise einen wenn auch epigonen-
haften, so doch in ihren besten Werken durch-
aus geschmackvollen Empirestil, der sich auch
auf die Provinz erstreckte und selbst vor der
traditionsgesättigten Atmosphäre Moskaus nicht
Halt machte.

Auf die Architektur des heutigen Rußland ein-
zugehen, liegt hier kein Anlaß vor, da Wulff
seine Darstellung nur bis zur Schwelle der Re-
volution führt; anderseits müssen in unseren
ausschließlich der Baugeschichte gewidmeten
Blättern alle jene vielen Kapitel des Werkes
unerörtert bleiben, die der Schilderung von
Skulptur und Malerei gewidmet sind. Leo Adler

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