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Architectura: Zeitschrift für Geschichte und Aesthetik der Baukunst — 1.1933 [ISSN 2365-4775]

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Nr. 2
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Martiny, Günter: Zur astronomischen Orientation altmesopotamischer Tempel
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https://doi.org/10.11588/diglit.19241#0059

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ZUR ASTRONOMISCHEN 0 R I E N TAT ION
ALTMESOPOTAMISCHER TEMPEL

Von Günter Martiny, Berlin

Der freundlichen Einladung des Herausgebers
der ARCHITECTURA folgend, lege ich in die-
sem Aufsatz Ergänzungen meiner Arbeit über die
astronomische Orientation der assyrischen und
babylonischen Tempel der Öffentlichkeit vor').
Wenn hier zunächst der Eindruck entsteht, daß
die angeschnittenen Fragen eher in eine astrono-
mische oder in eine assyriologische Fachzeit-
schrift gehören, so sei erwähnt, daß grade diese
genauen Untersuchungen nur gemacht wurden,
um der Bauforschung, und so der Geschichte
schlechthin, Anhaltspunkte für die Datierung
der assyrischen und babylonischen Tempel in
die Hand zu geben.

Zur Erläuterung der im Folgenden vorkommen-
den astronomischen Begriffe sei gesagt: Z e -
nit ist der senkrecht über uns befindliche
Punkt am Firmament. Hei iakischer Auf-
gang ist das Morgenerst eines Sternes, d. h.
nachdem ein Stern längere Zeit nicht sichtbar
war, leuchtet er zum erstenmal kurz vor Er-
scheinen der Sonne am Osthimmel wieder auf.
Scheinbarer kosmischer Untergang
ist der Untergang eines Gestirnes bei Erscheinen
der Sonne, d. h. der Stern verlischt am Morgen-
himmel ivährend des Untergehens. P r ä z e s -
sion ist das Vorrücken der Tierkreisbilder
am Tage der Tag- und Nachtgleichen (Früh-
lingsäquinoktium) in die Sonne. Der Prä-
zessionsglobus ist ein Himmelsglobus,
der in der Achse der Ekliptik aufgehängt ist.
Durch besondere Vorkehrungen kann man an
ihm den Stand eines jeden Gestirnes für jedes
beliebige Jahr und jede beliebige Stunde ab-
lesen. W int er s o Ist itium ist die Winter-
sonnenwende. Orientationskreis ist ein
Kreis am Sternhimmel, der durch eine bestimmte
Anzahl von Sternen genau festgelegt ist, und
nach dessen Schnittpunkten am Horizont die
Tempel eingerichtet sind. Die Kultachse
eines Tempels ist durch die Blickrichtung des
Betenden zum Kultbilde hin bestimmt.

Durch ein besseres Verständnis der Sternliste
aus der Bibliothek von Ninive, der Mul-Apm-
Serie (Brit.Mus. 86 378) wurde der Orienta-

') G. Martiny, Die Kultrichtung in Mesopotamien, Stu-
dien zur Bauforschung, Heft 3, Berlin 1932, im Verlan
lies Aufsatzes mit KiM abgekürzt.

tionskreis der Tempel in wesentlichen Punkten
verbessert und genau festgelegt. Seine Bewegung
wurde am Präzessionsglobus') beobachtet und
gemessen und auf diese Weise der neue Teilkreis
fiir die Tempel gezeichnet (Abb. 4).

Nach nochmaliger Durchsicht der Mul-Apin-
Serie2) konnte ich eine Tabelle anfertigen, die
die Sterne, die den Orientationskreis bestimmen,
enthält (Abb. 1).

Aus der Tabelle wird folgendes ersichtlich:
Alpha im Drachen war der Polarstern der Baby-
lonier. Er hieß bei ihnen „Himmelsjoch". Bei
Beginn des babylonischen Zeitalters (— 2800)
stand er im wahren Pol. Er war dem Himmels-
gott Anu zugeordnet.

Beta im kleinen Wagen, der Polarstern der
babylonischen Spätzeit und der Griechen, hieß
„Erbsohn der Ninmach", er trat das Erbe von
Alpha im Drachen an.

Alpha in der Cassiopeja, der helle Stern mit
dem wechselnden Licht, war namengebend für
die berühmte Apin-Serie. Mit ihm beginnen die
großen keilschriftlichen Sternlisten. Er kulmi-
nierte im Zenit und ging am babylonischen
Einmessungstag lieliakisch auf. Heute wird
K4pin mit „Pfluggestirn" übersetzt, doch hat vor
Jahren Sayce3) „star of foundation" vorgeschla-
gen. Dieser Vorschlag ist ebensowenig gesichert,
wie die Übersetzung „Pflug". Er scheint aber
nach der Bedeutung dieses Gestirns, das zur Ein-
messungsstunde altbabylonischer Tempel lielia-
kisch aufgeht, doch etwas für sich zu haben.
In der Cassiopeja gelangt die Milchstraße in
größte Polnähe. Wir dürfen die Milchstraße als
die „trüben Sterne" an der Cassiopeja in der
Liste wiedererkennen. Tiranna als Milchstraße
zu deuten, scheint richtiger zu sein, als mein
erster Vorschlag in Tiranna den Orientations-
kreis zu vermuten (KiM, S. 23).

Der Präzessionsglobus wurde mir von der Notgemein-
schaft der Deutschen Wissenschaft zur Verfügung ge-
stellt. Er ist nach dem Borchardt-Neugebauer'schen Prä-
zessionsglobus angefertigt und erhielt einige von mir an-
gegebene Änderungen.

E. Weidner, Handbuch der babyl. Astronomie, Bd. I,
Assyr. Bibl., Heft 23, Leipzig 1915, und
Bezold-Kopf, Zenit- und Äquatorialgestirne, Sitzungsber.
d. Heidelb. Äk. d. W. 1913, 11.

") Monthly Notices etc. Cal. p. 937.

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