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Architectura: Zeitschrift für Geschichte und Aesthetik der Baukunst — 1.1933 [ISSN 2365-4775]

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Nr. 2
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Delius, Hellmut: Vitruv und der deutsche Klassizismus: C. F. Schinkel und F. Weinbrenner
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https://doi.org/10.11588/diglit.19241#0078

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lich-räumlichen Auffassung der Renaissance-
Barock-Epoche, auch nicht seine rein städtebau-
lichen Entwürfe. Man sehe sich nur seine Ent-
würfe für die Friedrichsdenkmäler, für das
Palais Wilhelms I. usw. daraufhin an1); sie sind
schlimmste Fassade, Eindruckssteigerung der so-
genannten Hauptansicht durch formale Mittel.
Er bringt diese Auffassung selbst häufig genug
in seinen Erläuterungen zum Ausdruck. Rede-
wendungen, wie „auf die Aussicht von . . . ge-
stellt" oder „eine schöne Wirkung von . . . tun"
sind keine Seltenheit. Wieweit seine Bauten den
Außenraum achten oder sich mit ihm verbinden,
braucht kaum gesagt zu werden. Ich kenne kein
Beispiel außer dem Museum, das eine Verbin-
dung von rein körperlichem und räumlichem
Denken zeigte. Die antike Architektur dagegen
leitet immer wieder auf die Grundbegriffe Kör-
per und Raum zurück. Das können wir bei
Vitruv überall feststellen. Von dieser Auffassung
ist Schinkel weit entfernt.

Was Bodo Ebliardt mit dem Begriff „römischer
Palaststil" meint, der „sowohl in Grundriß-
anordnung wie in den Formen des Aufbaues" in
Schinkels Entwürfen für den Königspalast auf
der Akropolis (Tafel 16) und für das Schloß
Orianda in der Krim „durchbricht"2), ist mir
nicht erklärlich. Ein solcher „Palaststil" ist bei
Vitruv nicht zu finden, kann auch bei ihm nach
seinem ganzen Denken in diesem Sinne nicht ge-
funden werden. Wahrscheinlich versteht Eb-
hardt darunter die Ausführungen Vitruvs über
die öffentlichen Gebäude — Basilika, Kuria
usw. — und über die Bildung der Atrien. Diese
Angaben Vitruvs sind aber doch nur Propor-
tionslehre und Gebäudekunde. Jedenfalls ist
auch hierin Vitruvs Auffassung die gleiche wie
überall, eben räumlich-körperhaft, eine Auffas-
sung, die wir bei den obenerwähnten Entwürfen
Schinkels vergeblich suchen.

Es kann nach Vorstehendem darum von einer
geistigen Verwandtschaft Schinkels mit Vitruv
nicht die Rede sein. Die Zitate, die Ebhardt zum
Beweise der gegenteiligen Ansicht zum Schluß
seiner Ausführungen glaubt anführen zu können,
beziehen sich auf etwas ganz anderes, als worauf
es zur Feststellung einer solchen Verwandtschaft
ankommt.

Die geistige Verwandtschaft, auf die es hier an-
kommt, könnte doch nur eine solche auf dem

ebendort Abb. 54, 83.

-) Ebhardt im Schinkel-Almanach, S. 19.

Gebiete des architektonischen Denkens sein. Daß
sie dort nicht vorhanden ist, haben wir bereits
festgestellt. Die Zitate, die Ebhardt anführt, be-
handeln aber gar nicht diese Frage, sondern die
Frage: Wie denken Schinkel bzw. Vitruv über
den Beruf des Architekten? Von der Aufgabe
des Architekten, wie Ebhardt meint, ist darin
gar nicht die Rede:

„Schinkel sagt: ,Der Architekt ist seinem Begriff nach
der Veredler aller menschlichen Verhältnisse, er muß in
seinem Wirkungskreise die gesamte schöne Kunst um-
fassen. Plastik, Malerei und die Kunst der Raumverhält-
nisse nach Bedingungen des sittlichen und vernunft-
gemäßen Lehens des Menschen schmelzen bei ihm in einer
Kunst zusammen.' Und Vitruv sagt I. Buch, 1. Kap., 7. Ab-
schnitt: ,Die Philosophie aber verleiht dem Baumeister den
Adel der Gesinnung, auf daß er nicht anmaßend sei, son-
dern vielmehr gefällig, gerecht und gewissenhaft, ohne Hab-
sucht vor allen Dingen, denu gewiß kein Bauwerk kann
ohne Treue und Uneigennützigkeit richtig gedeihen;
weder sei er begehrlich, noch beschäftige die Erlangung
von Aufträgen ausschließlich seinen Geist, sondern er
wahre sein Ausehen mit Würde und erfreue sich eines
guten Rufes. Denn dies schreibt die Philosophie vor."
Das Vitruvsche Zitat gibt ohne seinen Zu-
sammenhang ein falsches Bild des Vitruvschen
Gedankenganges. Das Zitat stammt aus dem
I. Buch, Kap. 1. Zum Verständnis müssen wir
festhalten, daß Vitruv an dieser Stelle nur den
Beweis erbringen will, daß für die Ausübung der
Architektur die Wissenschaften unentbehrlich
sind, und zivar sämtliche Wissenschaften. Dieser
Gedanke liegt ihm offenbar sehr am Herzen.
Die Schilderung dieser Wissenszweige ist das
eigentliche Thema des Kapitels. Das Ergebnis
ist: der Architekt muß das Wissen seiner Zeit
bis zu einem gewissen Grade beherrschen, d. h.
nach unserem Sprachgebrauch ein Mann von
allgemeiner Bildung sein. Es kommt darauf hin-
aus, daß das Verhältnis der einzelnen Wissens-
zweige zum Fach das von Hilfswissenschaften
ist. Das ist der Sinn dieses Zitates über die Be-
deutung der Philosophie für den Beruf des
Architekten. Bei dieser Auffassung, die Technik
— dieses Wort entspricht eigentlich der Vitruv-
schen architectura — in den gesamten Umfang
der geistigen Interessen einzuordnen, entstand
als Berufstyp des Architekten ein universeller
Mensch, der das Wissen der Zeit beherrscht und
zur Grundlage seines Schaffens macht. Der Re-
naissance wurde dieser von Vitruv entwickelte
Berufstyp ein Bildungsideal. Er wurde damit die
Grundlage nicht erst für unsere heutige Auffas-
sung vom Beruf des Architekten, sondern auch
bereits für die Schinkelsche. Darum muß not-
wendigerweise hierin eine Gemeinsamkeit der

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