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Architectura: Zeitschrift für Geschichte und Aesthetik der Baukunst — 1.1933 [ISSN 2365-4775]

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Mitteilungen und Berichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.19241#0089
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lieh die Maßverhältnisse des Bildes meist ganz
oder im wesentlichen Teil unter den Tisch fal-
len, der wird mir Recht geben, wenn ich sage,
daß vor allem andern gerade diese Kenntnis
der Verhältnisse einer Form ihm so „präzis"
wie möglich beigebracht werden muß, wenn er
überhaupt einen richtigen Begriff vom schön-
heitlichen Wert des Objekts haben will. Aber
dieses „gesetzhafte" Zeichnen hat noch einen
andern, und gleichfalls nicht zu unterschätzen-
den Wert, nämlich einen mnemotechnischen.
Ein Beispiel statt vieler Worte: Sobald ich ein
Giebelhaus sehe und weiß, daß das Viereck
unter dem Giebel ein Quadrat, in den Geschos-
sen im Verhältnis von 5 : 3 quergeteilt ist, und
daß der Giebel selbst ein Dreieck darstellt, des-
sen Höhe sich zur Grundlinie wie 2 : 1 verhält
welche Maße alle leicht mit Hilfe eines Meter-
stabes optisch zu nehmen sind), ist die Form
in mein Gedächtnis eingetreten. Natürlich werde
ich nicht immer so einfache Beispiele finden,
auch handelt es sich nicht allein um Aufrisse,
sondern auch um Grundrisse — aber auch für
diese gelten bestimmte, zeit- und kulturgegebene
Gesetze. Sobald ich weiß, wie z. B. die Fassade
von San Zeno im Zehneck aufgeht, oder wie der
romanische Grundriß sich gleichfalls in dieser
seltsamen Figur erfüllt, dann habe ich die Form
im Kopfe, und darauf kommt es an, und nicht
auf das, was man „schwarz auf weiß" besitzt.
Die Gestaltung als technische Lösung endlich,
die die Gesetze des Stoffes in seiner Wirkung
auf Raum und Form bieten soll, wird sich nicht
allein semperisch-struktiv, sondern im Ganzen
des Hauskörpers bewegen müssen. Auch dies
kann von großen Gesichtspunkten aus geschehen,
sobald wir uns des Zweierlei von Gerüstlichem
und Massigem1) erinnern, und die Wirkung
dieser Kräfte vom makro- zum mikro-architek-
tonischen verfolgen.

Wenn wir im einzelnen richtig beobachtet ha-
ben, werden sich die Ergebnisse zuletzt zum
Ganzen schließen, und die Kenntnis der „Ge-
schichte", wie die der „Ästhetik und der Stil-
lehre" werden beim Studium eines jeden Bau-
werkes im Schüler die Fähigkeit bilden und
steigern, die Welt der Architektur -— nicht
allein der Vergangenheit, sondern auch der
Gegenwart — in sich als treibendes Agens und
als ein Kapital zu speichern, das sich beim Ent-
werfen dankbar verzinst.

Anmerkung für Praktiker: Beim Studium der
Bauwerke an Ort und Stelle empfiehlt es sich,

') D;ese Begriffe hat Prof. Klopfer eingehend erläutert
in seiner Schrift: Gerüst und Masse, ein Beitrag zum
Stilproblem der Baukunst (Weimar, o. J.).

entweder den Maßstab (Zollstock) mitzuneh-
men, oder ein Kartenblatt, in das eine recht-
eckige Öffnung etwa 5 zu 8 cm geschnitten und
an dessen Seiten eine Graduierung angebracht
ist. Wir brauchen dieses Blatt dann nur vor das
Auge zu halten, und können unmittelbar ver-
gleichen, in welchem Maßverhältnis der Bau
oder seine Teile zueinander stehen. PauVKlopfer

Auf die vorstehenden Ausführungeil erwidert
Herr Platz wie folgt:

Ich bin Herrn Klopfer für seine Fragen und An-
regungen dankbar; denn das einmal aufgerührte
Problem — übrigens nur ein Teil der dring-
lichen Hochschulreform — sollte nicht eher zur
Ruhe kommen, bis eine Neuordnung versucht
sein wird. Namentlich die Fragen der prakti-
schen Anwendung des „Systems der Architektur-
lehre" sollten reiflich erwogen werden.
Die „antiquarische" Baugeschichte müßte m. E.
in einen kurzen Abriß der Stilgeschichte um-
gewandelt werden. In solcher Form wäre sie
vorweg in einem Zweisemester-Kolleg zu lehren,
das vor dem Vorexamen erledigt werden sollte.
Damit ist dann eine Einführung und Überschau
gegeben, die es dem Studenten ermöglicht, sich
schon frühzeitig in dem sonst unübersehbaren
Fach zurechtzufinden. In den weiteren vier
Semestern zwischen Vor- und Hauptexamen
wäre Anschauungslehre und Gestaltenlehre zu-
sammen vorzutragen, und zwar derart, daß an
einzelnen Typenbauten (Schöpfungsbauten und
Haustypen) jeweils alles gezeigt wird, was an
Lehrbarem überhaupt mitzuteilen ist. Daß da-
bei nicht „semperisch-struktiv" in dem her-
kömmlichen Sinne verfahren werden soll, son-
dern im Bewußtsein der Totalität baulichen Ge-
staltens ist selbstverständlich. Ich gebrauche mit
Absicht den Ausdruck Seesselbergs, der anschei-
nend als Hochschullehrer am weitesten in der
Vereinigung von Kunstlehre und Konstruktion
vorgedrungen ist. Strebt man Totalität an, dann
gehören Gestaltenlehre und Anschauungslehre
zusammen.

Daß Kunstlehre nicht an Hand genauer Zeich-
nungen vorgetragen werden kann und darf, er-
gibt sich schon aus der Tatsache, daß solche
unverhältnismäßig viel Zeit erfordern. Man
läuft sonst Gefahr, entweder willkürlich heraus-
gegriffene Bauten mit großem Zeitaufwand zu
zeichnen oder das übliche Schema der antiken
und mittelalterlichen Stile zu kopieren. Beides
führt vom Ziele ab. Was wir wollen, ist doch
Freimachen des Kunstschülers vom Vorbild, das
Loskommen vom Schema. Den Geist der Bau-
denkmäler erfaßt der Begabte — und auf diesen
kommt es an — auch dann, wenn er nur skiz-

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