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Architectura: Zeitschrift für Geschichte und Aesthetik der Baukunst — 1.1933 [ISSN 2365-4775]

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Nr. 3
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Habicht, Victor Curt: Aufgaben der Forschung über die deutschen Bauhütten
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https://doi.org/10.11588/diglit.19241#0099

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AUFGABEN DER FORSCHUNG
ÜBER DIE DEUTSCHEN BAUHÜTTEN

Von V. C. Habicht, Hannover

Verständliche und unverständliche Gründe sind
dafür namhaft und verantwortlich zu machen,
daß eins der interessantesten und wichtigsten
Kapitel der deutschen Kunstgeschichte un-
gebührlich vernachlässigt und ad acta gelegt
worden ist, nämlich das über Entstehung, Wesen
und Leistung der deutschen Bauhütten.

Die der Wissenschaft aus den Zeitströmungen
(um 1900) zugewachsenen Aufgabenkreise ver-
langten allerdings bekanntlich vor allem Lösun-
gen der Stilfragen, zumal über Grundlagen, wie
etwa Entstehung und Wesen der Gotik; da fast
bis in unsere Tage hinein weder einhellige, noch
voll überzeugende Ansichten über diese Fragen
herrschten. Es kommt dazu, daß das ganze Ge-
biet durch die mehr oder weniger unwissen-
schaftliche Behandlungsweise des 19. Jahrhun-
derts einen fast anrüchigen, jedenfalls, er-
kenntniskritisch auf die Ergebnisse gesehen, un-
sympathischen Charakter hatte. Aber auch an-
dere Gründe haben offenbar von der Bearbei-
tung abgehalten — und zwar unverständliche
und unberechtigte.

Gerade die Mangelhaftigkeit der vorliegenden
Untersuchungen läßt annehmen, daß das Thema
keineswegs erschöpft ist, und daß — übrigens
auch aus anderen Gründen — eine Aussichts-
losigkeit von vornherein gleichsam als Entschul-
digung für die Umgehung dieser Probleme
durchaus nicht angenommen werden kann. Das
ist auch eigentlich nie geschehen. Dagegen läßt
sich nicht bestreiten, daß der Zweck (Wert) sol-
cher Untersuchungen direkt angezweifelt wor-
den ist. Sieht man von der Frage nach dem
subjektiven Wert für den Bearbeiter ab, obwohl
sie gestellt und in unserem Falle, wie bei eini-
gen anderen, angeblich weniger „vornehmen
Themen, verneint wird, und erörtert lediglich
den objektiven Wert für die Wissenschaft, d. h.
für die Kunstgeschichte, so erstaunt die Ableh-
nung um so mehr, als der Ruf nach Vertiefung
oder Erschließung der soziologischen Voraus-
setzungen und Verhältnisse nicht mehr neu ist.
^ ie wenig die letztere Forderung begriffen ist,
kann man allerdings daran ermessen, daß selbst
jüngere Vertreter der Kunstgeschichte solche
Forschungen für zwecklos halten und es sogar

bezweifeln — z. B. Pevsner tut es1) —, daß sich
Nachforschungen nach den einzigen Original-
arbeiten, die wir von mittelalterlichen Archi-
tekten finden können, nämlich den Rissen der
Werkmeister, lohnen. Das Argument Pevsners,
daß das Mittelalter diese Risse gering bewertet
habe, müßte erst bewiesen werden, und wenn es
bewiesen wäre, hätte es für uns ebensowenig
Wert wie die zeitgenössische Beurteilung von
Rembrandts Bildern, jedenfalls würde es eine
strenge oder reine Wissenschaft nicht der Ver-
pflichtung entheben, diesen Dokumenten mit
allen Mitteln nachzuspüren, sie einzuordnen
und für die Erkenntnis nutzbar zu machen.
Der Haupteinwand aber gegen die seitherige,
einseitig stilkritische Kunstgeschichte muß ge-
rade vom Erkenntnisstandpunkt erhoben wer-
den. Die weitestgehende Nichtbeachtung der
tatsächlichen Entstehungsvorgänge mußte zu
unrichtigen Ergebnissen führen und trotz der
Verpönung der „Phantasie" zu oft haltlosen
Konstruktionen gleichsam im luftleeren Räume.
Trotz vermeintlicher „strenger Wissenschaft-
lichkeit" entfernte man sich oft weit von den
Tatsachen, und zwar nicht zuletzt wegen einer
Mißachtung schöpferischer Geistigkeit (Phan-
tasie), ohne die geschichtliche Tatsachen nie
gefunden, aber auch nicht gedeutet werden
können.

Da es in einer Geschichtswissenschaft aber
allein auf Tatsachen ankommt, bedarf es ja
wohl keinerlei Beweise, daß es nicht gleich-
gültig sein kann, ja zur vollen Erkenntnis un-
bedingt dazu gehört, Positives über die Bau-
hütte und den (oder die) leitenden Werkmeister
zu ermitteln, die z. B. die Lübecker Marien-
kirche geschaffen haben. Mag die Aussicht für
Ermittelungen dieser Art auch keine große sein,
sie a limine als hoffnungslose zu bezeichnen,
geht — selbst bei gründlich durchgearbeiteten
Archivbeständen — durchaus nicht an.
Der Raummangel zwingt dazu, diese Gedanken
hier abzubrechen und darauf zu verzichten,

r) Vgl. N. Pevsner, Zur Geschichte des Architektenberufs
in „Kritische Berichte zur kunstgesch. Literatur", Leip-
zig 1930/31, Heft 4, S. 108 ff.

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