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Architectura: Zeitschrift für Geschichte und Aesthetik der Baukunst — 1.1933 [ISSN 2365-4775]

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Nr. 3
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Simon, Karl: Der mittelalterliche Profanbau Deutschlands und seine Bedeutung für die Geistesgeschichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.19241#0108
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führte auf deutschem Boden, und die Gotik
wird selbst Ausdruck des neuen Geistes, der vor
allem ein Erstarken des kirchlichen Einflusses
bedeutet. Nicht lange, so führt Innozenz IV.
(1243 •—54) das Papsttum auf die höchste Höhe
seiner Macht, das schon vorher verstanden hatte,
die ihm gegenüber nicht unkritisch eingestell-
ten Bettelorden zu seinen Helfern zu machen.
Das ganze geistige Leben wird erneut in hohem
Maße kirchlich-religiös gebunden.

Andererseits geht das weltliche Leben seinen
Weg weiter; die weltlichen Bedürfnisse verlan-
gen und erfahren ihre Befriedigung auch in der
Baukunst. Aber das Individuum tritt gegenüber
der staufischen Zeit stark zurück. Nicht Einzelne
in erster Linie sind jetzt Bauherren, Kaiser
etwa und Fürsten, sondern den Gang der Ent-
wicklung bestimmen Bauten der Gemeinschaft.
Die Stadtgemeinden etwa erbauen Rathäuser
oder Kaufhäuser, Kornhäuser usw., vielleicht
auch Hospitäler, für ihre Zwecke, Mauern, Tore
und Türme zu ihrem Schutze. Zünfte lassen für
ihre Bedürfnisse Häuser, Hallen — etwa für den
Tuchhandel — erstehen. Der Schloß- und Bur-
genbau tritt zurück in einer Zeit, als der Adel
selbst zu einem großen Teil in die Städte strebt.
Diese selbst sind Ausdruck einer solchen Ge-
meinschaft, die als Bürgertum, als dritter Stand
sozusagen jetzt allmählich neu heraufkommt
und für ihr privates Leben zuerst in spätroma-
nischer Zeit ihre Wohnhäuser monumentali-
siert, wie es Fürstentum und Adel ihrerseits ge-
tan hatten. Deren Baulust erlahmt, wie gesagt,
im Laufe des 13. Jahrhunderts; nur im Osten
herrscht eine lebhafte Bautätigkeit, die dem
Burgenbau zugute kommt; aber auch hier sind
es Bauten einer Gemeinschaft, des deutschen
Ritterordens; der glanzvollste, die Marienburg,
ist nicht das Denkmal eines Einzelnen.

Eine Ausnahme bildet die Burg Karlstein in
Böhmen, die Schöpfung Kaiser Karls IV. und
nach ihm genannt. Aber dieser selbst ist ja eine
Ausnahmeerscheinung unter den deutschen Für-
sten seiner Zeit. Nach rückwärts wohl nicht un-
beeinflußt von der Gestalt Kaiser Friedrichs II.,
durch Vermittelung der Anjous, die sich unter
seinen Ahnen befanden, nach vorwärts eine
Etappe zur Renaissance hin bildend, befreundet
mit Petrarca und Cola di Rienzo, zieht Karl ita-
lienische Künstler (neben deutschen) zur Aus-
schmückung eben seiner Burg Karlstein heran,
künstlerischen und wissenschaftlichen Interessen

aufs stärkste zugewendet. Bezeichnend aber, daß
auf dem Karlstein ein eigentlicher „Festsaal"
für große Reichsversammlungen oder heiter-
festliche Geselligkeit, wie ihn der frühere Pfal-
zenbau als unumgänglich notwendig enthalten
hatte, nicht vorhanden ist.

Weiter begegnen überragende Bauten fürstlicher
Herrn erst am Ende der Epoche; so etwa die
Albrechtsburg (übrigens erst seit 1676sogenannt)
in Meißen, seit 1471 im Bau, dann vor allen Din-
gen der Wladislaw'sche Saal in der Königsburg
auf dem Hradschin in Prag, erbaut von einem
Niederösterreicher 1484—1502.

Jetzt fällt nun auch eine Beschränkung, die ty-
pisch für den ganzen mittelalterlichen Profan-
bau gewesen war: die Teilung des Raumes durch
eine Reihe von Stützen. Überall, wo wir nach-
kommen können, wird in den mittelalterlichen
Pfalzen die Decke von einer Reihe solcher
Stützen getragen, erfolgt also eine Teilung des
Raumes in zwei Schiffe. Eindrucksvoll erhalten
in Goslar und Dankwarderode (Erd- und Ober-
geschoß) und besonders in der Wartburg, wo
nicht nur der Saal des ersten Obergeschosses
zweischiffig ist, sondern auch die abgeteilten
Räume des Erdgeschosses und das Landgrafen-
zimmer entsprechend eine mittlere Stütze auf-
weisen. Die Teilung des zweiten Obergeschosses,
die durchaus vorauszusetzen ist, fiel bei der
Wiederherstellung des 19. Jahrhunderts weg1).
Scharf setzt sich diese Baugewohnheit von den
lcarolingischen Pfalzen ab, wo (besonders in
Nieder-Ingelheim) dreischiffige Einteilung vor-
handen war — entsprechend der antiken Ba-
silika. Zweischiffige Anordnung fehlt in der rö-
mischen Antike nicht ganz, aber sie scheint erst
spät aufzutreten und häufiger provinzialrömisch
zu sein, wo vielleicht schon „barbarische" Ein-
flüsse wirksam gewesen sind. Interessant sind
Beipiele aus dem früh griechischen Tempelbau
— ich behalte mir vor, die ganze Frage im Zu-
sammenhang zu behandeln.

Ihre klassische Ausprägung erhält jedenfalls
diese Baugewohnheit auf nordischem Boden
während des Mittelalters, und zwar beschränkt,
wie es scheint, auf die germanischen oder ger-
manisch beeinflußten Länder. Sie bleibt im gan-
zen an den Profanbau gebunden, wenn sie auch

') Vgl. zum Folgenden: K. Simon, Studien z. roman.
Wohnbau (s. o.). — Ders., „Die Anlage zweischiffiger
Räume in Deutschland" im Repertorium f. Kunstwissen-
schaft, XXV (1902).

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