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Architectura: Zeitschrift für Geschichte und Aesthetik der Baukunst — 1.1933 [ISSN 2365-4775]

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Nr. 4
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Lohmeyer, Karl: Palagonisches Barock
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https://doi.org/10.11588/diglit.19241#0149

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PALAGONISCHES BAROCK

Von K. Lohmeyer, Heidelberg.

Unweit Palermo, in der dieser Stadt entgegen-
gesetzten Ostecke des Golfes liegt hinter einem
herrlichen Vorgebirge, einem Monte Pellegrino
im kleinen, erhöht inmitten einer Landzunge
und so zwischen zwei Meerbusen, das Landstädt-
chen Bagheria, ganz in lachende Frucht- und
Gemüsegärten gebettet.

Die gute Luft, die von drei Seiten her vom Meere
aus über das Land weht, hat, als die Barockblüte
des bourbonischen Hofes von Neapel in Palermo
ein Echo gefunden hatte, sizilianische Große be-
wogen, hier ihre Sommersitze zu erbauen, um
von diesem fruchtbaren Lande seine Erträgnisse
einzuheimsen. Und ihre Villen breiten sich noch
in und um Bagheria verstreut aus, aber sie sind
zumeist von ihren alten Besitzern verlassen, um
heute in einem malerischen Verfall hineinzu-
träumen.

In höherer Lage vor der Stadt erhebt sich das
wuchtige, um 1715 errichtete barocke Kasino der
Villa Valguarnera, von prächtiger Vegetation
umgeben und die herrlichsten Blicke weithin
die sizilianische Küste entlang von der Terrasse
und der Montagnuolo im Parke aus darbietend.
Dann geht es eine endlose, ins Land hineinfüh-
rende Straße, an der gleich rechts ein merkwür-
dig üppiger und eigentlich trotzdem noch ganz
westlich-französisch wirkender Bau liegt, der
Palazzo di Caputi, wie ihn das Volk nennt. Das
ist ohne Frage der in den Reisebeschreibungen
um 1780 als neu erbaut aufgeführte Landsitz des
Prälaten Galetti. Er zeigt schon den hier unten
iui Süden selten vorkommenden Stil Louis XVI.,
aber durchaus sizilianisch bereichert und kräf-
tige Amortissements hängen an Bändern, aus sei-
nen Steinflächen herausgehauen herab, um diese
malerisch zu beleben. Aus jenem wundervollen
Steinmaterial ist es erbaut, das die Zeit golden
und goldgelber sich von der Bläue des Himmels
abheben läßt. Aber auch die Romantik kommt
hei diesem späten Bau des 18. Jahrhunderts
schon zu ihrem Rechte, denn aus seinen Dach-
rillen ragen grüne Ablaßrohre wie wehrhafte
Kanonen weit heraus. -— Beginnende Burgen-
roniantik zeigt sich also hier unten in derselben
frühen Weise wie bei einem deutschen Bau die-
ser Zeit um 1770, dem Heidelberger Karlstor,
das der Franzose Nicolas de Pigage angeblich
»ganz im römischen Styl" errichtet hat.

Von dieser Hauptstraße, deren Endpunkt wieder
eine Villa, die der fürstlichen Familie Butera,
bildet, lenkt uns dann bald links die Via Pala-
gonia ab, in der wir in der Ferne ein klotziges
Tor und weit darüber hinweg den Mittelgiebel
des Casinos der Villa Palagonia hoch aufragend
erblicken. — Und damit zieht es uns in diese
Wunderwelt barocker Ausgeburt und Phantasie
hinein, die Goethe am 9. April 1787 betrat und
dann nicht mehr von dieser „pallagonischen
Raserei" loskam, so daß „pallagonisch ver-
schnörkelt" selbst zu einem Ausdruck von ihm
geworden ist.

Ganz im Klassizismus befangen, hatte er damals
noch nicht den richtigen Abstand zu dieser aus-
klingenden Barockphantasie eines sizilianischen
Großen. Er konnte ihn auch nicht haben, und
diesen seinen Anschauungen ist alles nachgefolgt
bis auf den heutigen Tag. Daher gilt es noch ein-
mal, das Reich des Fürsten Palagonia zu betre-
ten, um zu sehen, was eigentlich davon auf uns
gekommen ist, und wie sich der Zustand seit
Goethes italienischer Reise und durch die
Schäden des nachfolgenden Klassizismus verän-
dert hat.

Noch steht aufrecht am Anfang der Villa der
wuchtige Torklotz (Taf. 25 u. 26a) mit den vier
Riesengestalten der Wächter, die zum Teil spa-
nische Gardisten in Rokokotracht mit Gewehren
und Gamaschen darstellen. Er zeigt sich als ein
Klotz, der an den Ecken abgeschrägt ist. Ein
Triumphbogen führt hindurch, je zwei breite
Pilaster gliedern die Wände daneben. Ein kräf-
tiges Gesims umzieht den Bau und trägt eine
durchbrochene Dachballustrade, von deren Mitte
eine Kartusche mit den Familienwappen der
Gravina absteht. An den Hauptmauerflächen
zwischen den Pilastern ragen auf verhältnis-
mäßig niedrigen Sockeln die Riesengardisten auf
und halten am Eingang der Villa die Wache.
Einen weiteren Schutz für sie bildet die in Stuck
im Inneren der Durchgangshalle des Tores, gegen-
über vom Eingang angebrachte polychromierte
Plastik der „Dreieinigkeit". Aber leider fehlt in
ihr der Christus, und damit fängt schon die
Laune des Erbauers an. — Die malerischen Fi-
guren, die einst die Ballustrade dieses Torhauses
nach oben ausklingen ließen, — auf der Vorder-
front die Madonna mit zwei knieenden Engeln

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