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Architectura: Zeitschrift für Geschichte und Aesthetik der Baukunst — 1.1933 [ISSN 2365-4775]

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Nr. 4
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Lohmeyer, Karl: Palagonisches Barock
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https://doi.org/10.11588/diglit.19241#0154

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Ausmaßen, die diesen Raum einst ersonnen hat.
Der Widersinn zeigte sich einst in diesem Kon-
versationssaal weniger in der überreichen, doch
sehr kultivierten Dekoration, als vielmehr im
Mobiliar, das so angebracht war, daß man keine
Konversation machen konnte, oder diese zum
mindesten sehr erschwert war. Die Sitze waren
in zwei Gruppen verteilt, so eingerichtet, daß
jeder Besucher dem anderen den Rücken keh-
ren mußte, wenn diese Unglücklichen es über-
haupt verstanden, auf den zum Teil schwanken-
den und aus dem Gleichgewicht gebrachten Sitz-
gelegenheiten die Balance zu halten. Zu dieser
schönen und sicher sehr erheiternden Konver-
sation leuchteten aus Flaschen und Gläsern aller
Art zusammengesetzte Lüster, und Pyramiden
und Säulen standen als Leuchter herum, die aus
Porzellantöpfen gebildet waren, bei denen auch
die Nachtgeschirre nicht fehlten.

Vom Vorsaal führt zur Rechten der Eingang in
einen übergroßen Marmorsaal, denselben, den
Goethe als noch vom Vater des Fürsten begon-
nen aber unvollendet und so als nicht uneben
erwähnte. Zu dem echten und vollsten Rokoko-
akkord in der Dekoration der Galerie tritt die-
ser Raum noch lauterer in derbem Barock, doch
weit weniger in künstlerischer Mannigfaltigkeit
und feinen Nuancen ertönend, wenn auch hier
der Sohn versucht hat, ihn mit seiner Erfin-
dungsgabe zu bereichern. Bunte inkrustierte
Marmorfelder umziehen seine Wände, weiße
Marmorrahmen teilen sie, und in der Mitte der
Felder sind plastische und farbige Ahnenbilder
im gleichen Material in Ovalfedern angebracht,
in den bunten Marmorkostümen von der ältesten
bis zur neuesten Zeit. Das ist alles derbes, auch
wohl hier und da noch etwas plumpes und pro-
vinzielles Barock, durch das schöne Material
wirkend und auch wieder mit einem großflächi-
gen Marmorboden zusammenkomponiert.
Es war das wohl auch der Raum, in dem Goethe
eine Erfindung unseres Fürsten als das „einzig
vernünftige" anerkannt und selbst ihrer guten
Wirkung halber zur Nachahmung empfohlen
hat. Das sind Unterglasmalereien, die Marmor
und Achate vortäuschen sollen, die mit Lack-
farben auf dünne Glasplatten aufgetragen in die
Wände eingelassen wurden. Merkwürdigerweise
bewunderte auch der französische Hofmaler
Ilouel schon vor Goethe diese Imitationserfin-
dung in der Darstellung echten Materials in
einem Lande, wo es keinen Mangel davon ge-

geben hat. —Aber auch das ist wieder eine Eigen-
tümlichkeit des Klassizismus, daß ihm solche
Nachahmungen lagen, wurden doch damals in
vollständiger Verkennung des Materials selbst
von den hervorragendsten süddeutschen Por-
zellanmanufakturen der Barockzeit nun auf ein-
mal Geschirre hergestellt, die Marmor und aller-
hand kostbares Gestein, ja selbst Holz darstel-
len sollten.

Zwei viereckige Kabinette schließen sich an die-
sen marmornen Ahnensaal des Hauses Gravina
zu beiden Seiten an, die noch die alten Spiegel-
decken tragen, sonst aber ganz mit den neueren
klassischen Malereien versehen sind, die sich um
Medaillons berühmter Griechen und Römer zie-
hen. Das ist das Wesentliche, was noch erhal-
ten ist.

Die entsprechende linke Seite des Kasinos dient
heute den jetzigen Besitzern als Wohngelaß, das
mir nicht zugänglich war, und den Versicherun-
gen nach nichts mehr enthalten soll. Es ist also
eigentlich nur verhältnismäßig wenig aus der
Zeit des uns hier beschäftigenden Fürsten Fran-
cesco Ferdinando auf uns gekommen und tausen-
derlei Dinge, die von seinen bizarren Einfällen
und einer ungewöhnlichen Erfindungsgabe Zeug-
nis ablegten, sind verschwunden. Es fehlen eben
die mancherlei Sitzgelegenheiten mit allerhand
durchaus unliebsamen Überraschungen für harm-
lose Besucher, ganz übrigens im Sinne der Zeit
und ganz und gar nicht diesmal so unnormal,
wie vielfach hingestellt, da allenthalben der-
artige, auch derbere Scherze, in der Barockzeit
nun einmal gang und gäbe waren und selbst an
sehr kultivierten süddeutschen geistlichen Höfen
nicht gefehlt haben. — Es fehlen die aus alten
Goldrahmen zusammengesetzten Boiserien, die
zum Teil aus sehr kostbaren und auch schönen
chinesischen Töpfen zusammengestellten Auf-
sätze und Pyramiden, die überall auf den golde-
nen Konsolen standen, — auf vierzig Stück we-
nigstens schätzt sie schon 1770 der Engländer
Brydone, der sogar trotz seiner durchaus abnei-
gungsvollen Einstellung die Schönheit einiger
hervorhebt, die wohl als Leuchter dienten.
All das glitzernde Beiwerk der vielen weißen
und bunten Kristallstücke ist verschwunden, die
in verwirrendem Reichtum überall angeheftet
und angebracht waren, die ausgeschnittenen
Spiegelstücke auf den Wänden sind es auch zu-
meist bis auf die in der Galerie. In mannigfacher
Form überzogen sie einst vermischt mit bunten

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