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Architectura: Zeitschrift für Geschichte und Aesthetik der Baukunst — 1.1933 [ISSN 2365-4775]

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Nr. 4
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Lohmeyer, Karl: Palagonisches Barock
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https://doi.org/10.11588/diglit.19241#0155

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Kristall- oder Glasnägeln selbst die Türflächen.
Es fehlen die bunten Glasfenster, dazu da, dem
Durchschauenden die Gegend zu erwärmen oder
zu erkälten, je nach Geschmack, ein Motiv, das
dann erst die Romantik in großem Umfang in
ihren Ritterburgen und Gartenhäusern einge-
führt hat. -—- Nur wenig ist in richtiger Erhal-
tung von den einst überaus prächtig eingelegten
Fußböden und Marmorbekleidungen auf uns ge-
kommen, die auch zum Teil in einer neuen Er-
findung und Bereicherung des Fürsten wieder
gegipfelt haben, die Brydone folgendermaßen
beschreibt: „Anstatt dieser schönen Tafeln (aus
Marmor, Lapislazuli, Porphyr und anderem
kostbaren Gestein) hat er nun eine neue Folge
derselben erfunden, wovon einige auch ihren
Wert haben. Sie sind aus den schönsten Schild-
krötenschalen, vermischt mit Perlenmutter,
Helfenbein und mancherley Metallen zusammen-
gesetzt und ruhen auf kupfernen Platten."
Die alte Hausuhr ist auch nicht mehr da, die in
einer Statue untergebracht war und ihre Augen
je nach dem Perpendikelschlag hin und her ge-
hen ließ, so daß man bald das Weiße, bald das
Schwarze des Auges sah, was den Reisenden da-
mals ein schrecklicher Eindruck schien, und
ebenso mangelt all das übrige reichlich phan-
tastisch-groteske plastische Beiwerk, sei es nun
in tierischer oder menschlicher Gestalt und „in
Marmor gehauen" nach den natürlichen Farben,
das manche Räume zu einem wahrhaften „Ka-
sten Noäh" gemacht haben soll. Und so fehlen
auch die vier Weltteile, Europa mit dem Pferde-
kopf, Asia mit einem Kamelskopf, Afrika mit
einem Löwenkopf und Amerika mit dem Kopfe
eines Krokodils. Und als ihr Gegenstück die vier
Tiere der Offenbarung, die ja überhaupt so et-
was wie Vorbilder abgaben, denn auf die ur-
sprünglich geplanten vier Evangelisten verzich-
tete er, weil er da dem heiligen Matthäus ja
einen Engelskopf hätte geben müssen und so aus
seiner Konsequenz im Unsinn herausgekommen
wäre. Das alles ist also hoffnungslos für uns und
für die Kenntnis dieser Zeit verschwunden und
leider noch von der Familie selbst zum großen
Teil in der klassischen, dem Barockfürsten all-
zu schnell an die Fersen gehefteten Zeit zerstört
worden.

Seit 50 Jahren etwa gehört die Besitzung einer
palermitanischen bürgerlichen Familie Castro-
uovo, die noch vor dem Hauptportal des Kasino-
Zuganges ein zweites eisernes Tor hat anbringen

lassen mit der Inschrift „Villa Castronovo", was
aber die alte Bezeichnung der Villa Palagonia
nicht hat verdrängen können. Ein Vicolo neben
diesem Eingang zur Rechten führt in Erinnerung
an den historischen Besuch, der die Schöpfung
erst aller Welt bekanntmachte, den Namen Via
Goethe, wenn er auch lange nicht der erste war,
der über sie geschrieben hat, wie das auch oft
angenommen worden ist.

Bis zum Jahre 1770 etwa lag die einsame Insel
Sizilien immer noch außerhalb des Fremden-
verkehrs, ja sie war als Reiseland verrufen. So
blieb sie länger als das Festland im Banne des
Barocks, und in seinem Sinne schuf immer noch
ein verspäteter Fürst seine Werke weiter, als die
ersten ihn entdeckenden Gäste eintrafen. Das
waren vor allem die Engländer Brydone, Swin-
burne und Payne-Knight aus einem Volke, das
von altersher noch besonders klassizistisch, pal-
ladianisch und auch nüchtern eingestellt war
und so allein schon diesem noch ganz barock
grotesken Barockwesen der Insel keinerlei Sym-
pathie und irgendwelches Verständnis entgegen-
bringen konnte. Brydone ist der eigentliche Ent-
decker des sonderbaren Fürsten Palagonia ge-
worden; durch sein sizilianisches Reisewerk, das
auch bald ins Deutsche übersetzt worden ist,
machte der Bericht über das verzauberte Schloß
„in der Bagaria", wie damals die ganze Land- ,
schaft hieß, die Runde durch Europa. 1770 hatte
Brydone1) Sizilien und Malta besucht, so daß
sich die in der Literatur immer wiederkehrende
Notiz, der Fürst habe erst 1775 seine Bauten be-
gonnen, wie so vieles andere auch über ihn von
selbst erledigt, da Brydone allein die Zahl der
Statuen damals schon auf 600 angibt, eingehend
auch die völlig fertige Inneneinrichtung schil-
dert und dazu noch behauptet, daß der 1770
übrigens schon recht betagte Fürst „sein ganzes
Leben" bereits dem „Studio von Ungeheuern
und Chimären" gewidmet habe.

Der Anfang dieses Bauwesens ist vielmehr viel
weiter in das 18. Jahrhundert zurückzuverlegen,
wenn der alternde Bauherr auch immer wieder
dabei war, seine Schöpfung mit neuen Erfindun-
gen im alten Sinne zu bereichern.

*) A tour through Sicily and Malta in a series of lettres
to William Backford Esqu. of Somerly in Suffolk from
P. Brydone F.R.S. A new edition. London 1775. Tome II,
S. 93—103 und P. Brydone's Reise durch Sicilien und
Malta pp. Zweyte nach der neuesten Englischen Aus-
gabe verbesserte Aufl., I. Theil, Leipzig 1777. S. 69—76.

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