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Architectura: Zeitschrift für Geschichte und Aesthetik der Baukunst — 1.1933 [ISSN 2365-4775]

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Nr. 4
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Lohmeyer, Karl: Palagonisches Barock
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https://doi.org/10.11588/diglit.19241#0158

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des Schloßbaues in einem solchen Umfange der
Phantasie vorzunehmen, daß diese Villa zu einer
wahren Berühmtheit gelangt ist. Diese berühmte
sizilianische Villa wurde allmählich zu einer be-
rüchtigten in ganz Europa, als immer mehr im
Klassizismus sich die abfälligen Urteile über
diese Schöpfung mehrten, als man den barocken
Geist, aus dem heraus sie entsanden war, nicht
mehr verstehen konnte und wollte, und so
schließlich den alternden Schöpfer dieser ver-
zauberten Wunderwelt am liebsten für wahn-
sinnig erklärt hätte, ja das wohl auch zu tun
versucht hat. Und in dasselbe Horn stießen, wie
wir es schon sahen, fast alle Reisenden des aus-
gehenden 18. Jahrhunderts, Goethe nicht aus-
genommen, so daß es einmal am Platze sein
mag, doch eine kleine Revision hier vorzuneh-
men und so auch an Stelle der immer betonten
scheinbar unnormalen Züge dieses sizilianischen
Granden, was mehr wie genug geschehen ist, nun
das zu vernehmen, was sonst über ihn aus zeit-
genössischen Quellen berichtet wird oder zu sei-
ner Entlastung dienen kann. Diese Quellen aber
lauten ganz anders, als wir es sonst zu hören be-
kommen, und selbst einige seiner Ankläger kön-
nen hier als Zeugen vernommen werden.

So sagt bereits Brydone, daß er ihn „bey ver-
schiedenen Gelegenheiten verständig genug"
habe reden hören, und daß es ihm „übrigens nicht
an gutem Verstand fehlt", betont schon der ihm
sonst wenig gut gesinnte Comte deBorch,der auch
seinen „aufgeklärten Verstand, wie auch ziemlich
ausgebreiteten Kenntnisse" an ihm rühmt und ein
„vortreffliches Herz" ihm nicht absprechen will.
Als die Campagne gegen ihn von dieser Seite
sowohl, wie von den erbbegierigen Verwandten
losgegangen war, und man zu allen unsinnigen
Sagen auch noch die fügte, daß sich die schwan-
geren Frauen an seinen Ungetümen versehen
und dann selbst solche zur Welt bringen könn-
ten, hat er ruhig bemerkt, daß er „Herr und
Meister auf seinem Boden seye, und daß er den-
jenigen, die den Anblick seiner Statuen nicht er-
tragen könnten, den Rath gäbe, sich von den-
selben entfernt zu halten".

Das alles spricht nun ganz und gar nicht für die
ihm angedichtete Verrücktheit, auch nicht die
höchst vernünftige und wohltätige Situation, in
der ihn Goethe gesehen hat. Der aber erzählt am
12. April 1787 aus Palermo: „Heute am Abend
ward mir noch ein Wunsch erfüllt, und zwar
auf eine eigene Weise. Ich stand in der großen

Straße (Cassaro) auf den Schrittsteinen, an je-
nem Laden mit dem Kaufherrn scherzend; auf
einmal tritt ein Läufer, groß, wohlgekleidet, an
mich heran, einen silbernen Teller rasch vor-
haltend, worauf mehrere Kupferpfennige, we-
nige Silberstücke lagen. Da ich nicht wußte, was
es heißen solle, so zuckte ich, den Kopf duckend,
die Achseln, das gewöhnliche Zeichen, wodurch
man sich lossagt, man mag nun Antrag oder
Frage nicht verstehen oder nicht wollen. Ebenso
schnell als er gekommen, war er fort, und nun
bemerkte ich auf der entgegengesetzten Seite der
Straße seinen Kameraden in gleicher Beschäf-
tigung.

Was das bedeute? fragte ich den Handelsmann,
der mit bedenklicher Gebärde, gleichsam ver-
stohlen, auf einen langen, hagern Herrn deutete,
welcher in Straßenmitte, hofmäßig gekleidet,
anständig und gelassen über den Mist einher-
schritt. Frisiert und gepudert, den Hut unter
dem Arm, in seidenem Gewände, den Degen an
der Seite, ein nettes Fußwerk mit Steinschnallen
geziert: so trat der Bejahrte ernst und ruhig ein-
her; aller Augen waren auf ihn gerichtet.

„Dies ist der Prinz Pallagonia", sagt der Händ-
ler, „welcher von Zeit zu Zeit durch die Stadt
geht und für die in der Barbarei gefangenen
Sklaven ein Lösegeld zusammenheischt. Zwar
beträgt dieses Einsammeln niemals viel, aber der
Gegenstand bleibt doch im Andenken, und oft
vermachen ihm diejenigen, welche bei Lebzeiten
zurückhielten, schöne Summen zu solchem Zweck.
Schon viele Jahre ist der Prinz Vorsteher
dieser Anstalt und hat unendlich viel Gutes ge-
stiftet."

„Statt auf die Torheiten seines Landsitzes" —
rief ich aus — „hätte er hierher jene großen
Summen verwenden sollen. Kein Fürst der Welt
hätte mehr geleistet!"

Dagegen sagte der Kaufmann: „Sind wir doch
alle so! Unsere Narrheiten bezahlen wir gar
gerne selbst, zu unsern Tugenden sollen andere
das Geld hergeben."

Aber auch darin tut man dem Fürsten bitter un-
recht, denn an anderer Stelle wird gerade seine
eigene Wohltätigkeit und sein Sinn für die Not
der Armen gerühmt, von denen er einer ganzen
Menge das Brot gebe und gegen sie ein vortreff-
licher Herr sei. Dazu kommen noch die immer
im Zeitalter des Barock verstandenen, nachher
aber zumeist vollkommen übersehenen merkan-

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