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Architectura: Zeitschrift für Geschichte und Aesthetik der Baukunst — 1.1933 [ISSN 2365-4775]

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Nr. 4
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Lohmeyer, Karl: Palagonisches Barock
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https://doi.org/10.11588/diglit.19241#0159

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tilistischen Vorteile für das Aufblühen der gan-
zen Gegend, in der ein so großes Bau- und Kunst-
unternehmen anhob, was Brydone übrigens 1770
noch anerkennt, wenn er die Menge Bildhauer
und andern Arbeitsleute hervorhebt, die der
Fürst beschäftigt. — All diesen Anfechtungen
zum Trotz, ist der Fürst Palagonia aber doch
durch Goethe in Schnallenschuhen und Cha-
peau bas, frisiert und gepudert, ernst und ruhig
gelassen „über den Mist" in die Unsterblichkeit
eingeschritten.

Damals war er bereits sehr alt, verbraucht und
fromm geworden und stand nahe an der Schwelle
des Todes, als ihn Goethe und die reisenden
Engländer sahen, abgemagert und eingetrocknet,
so daß ihn Bartels „izt selbst einem Monstro
änelnd" wenig liebenswürdig schildert und dazu
als einen alten dürren, zusammengetrockneten
Menschen, der nur ins Leben zurückgerufen
werden könne, wenn man ihn mit Ideen von
neuen Ungeheuern unterhalte, aber auch das
war sicher, wie so vieles, übertrieben, da Goethe
noch 1787 selbst diesen Eindruck durchaus nicht
hatte, sondern nur einen langen, hageren, be-
jahrten Herrn von sonst vornehmem Eindruck
und Auftreten in ihm sieht. Vor allem aber war
der über achtzigjährige Fürst damals schon an-
gefeindet, als Feind des guten Geschmacks und
gerade durch diese hier auch auf Sizilien übel-
wirkenden Schilderungen der Fremden, während
seine Familie seinen Tod kaum erwarten konnte,
um das reiche Erbe ungeschmälert und nicht
durch weitere Bauten vermindert, an sich zu
bringen. — Aber niemand von all diesen Klassi-
zisten hatte ihn in seiner Glanzzeit gesehen, als
er sein Schloß der „Täuschungen und Bezaube-
rungen" wohl um 1755 begonnen hatte, und nie-
mand merkte damals mehr, was für ein Schalk
ihm eigentlich hinter den Ohren gesessen hatte,
wie sehr er sich über den Klassizismus und die
Antike lustig gemacht und seine Besucher auch
wohl sonst düpiert hat. Davon ist auch Goethe
nicht verschont geblieben und alles vor und nach
ihm, die es gereizt hat, sich näher mit diesem
sonderbaren Fürsten zu beschäftigen, an dessen
Schöpfung allein schon deshalb etwas gewesen
sein muß, weil sie in überhohem Maße die Phan-
tasie seiner Zeitgenossen und seiner Nachwelt
stets beschäftigt hat und weiter beschäftigt, wo-
von Goethe ja gerade das klassische Beispiel
wieder ist, der bis in sein Alter hinein immer
wieder auf seine Eindrücke zurückkommt und

sie vergleichsweise verwendet hat1). Er und alle
sind so auch auf das bizarr-groteske angebliche
Wappen des uralten Geschlechtes Gravina her-
eingefallen, das nichts anderes eben gewesen ist,
als eine der vielen Täuschungen und Irrefüh-
rungen der Besucher. Goethe erzählt von einer
Gruppe im Viale, die sein Reisegenosse, der
junge Maler Kniep, zeichnete und kommt dabei
auch auf dieses famose Familienwappen, wenn
er von der Gruppe sagt: „Sie stellt ein Pferde-
weib auf einem Sessel sitzend, gegen einen unter-
wärts altmodisch bekleideten, mit Greifenkopf,
Krone und großer Perrücke gezierten Kavalier
kartespielend vor und erinnert an das nach aller
Tollheit noch immer höchst merkwürdige Wap-
pen des Hauses Pallagonia, ein Satyr hält einem
Weibe, das einen Pferdekopf hat, einen Spiegel
vor. Solche, eine heraldisch unmögliche Scherz-
komposition hatte also der drollige Fürst an-
bringen lassen, um sie den Frauen gegenüber
als das Wappen seines Geschlechts auszugeben,
das in Wirklichkeit ganz anders, heraldisch
schlicht, dem Alter der Familie entsprechend,
aussah und übrigens auch oft genug mit seinem
goldenen Stern und Doppelbändern im blauen
Feld in der Dekoration des Casinos vorgekom-
men ist, um nicht auf dies Ulkwappen des ver-
zauberten und an Täuschungen so reichen
Fürstentums Palagonia hereinzufallen. Auf die
Autorität von Goethe hin ist diese gelungene
Irrführung dann bis heute in alle, den Fürsten
behandelnde Schriften übergegangen, ja schließ-
lich hat man dies Wappen mit dafür verant-
wortlich gemacht, daß von ihm ausgehend die
„Denkart des jungen Prinzen schon früh auf das
Gebiet widerlicher Abnormitäten" hingewiesen
worden sei. Goethe scheint zudem die Heraldik
wenig gelegen zu haben, sonst wäre ja eine der-
artig erzählende Episode, ein wahrer Roman im
Wappen eines so alten Geschlechts als heraldisch
völlig unmöglich ihm aufgefallen. Daß sie ihm
nicht lag, zeigt ja allein schon der Umstand, daß
er bei seiner Adelung das schöne eigene Fami-
lienwappen, das wahrhaft vorbestimmend, ja auf
ihn als den großen kommenden Sohn mit seinen
drei Leyern hinzuweisen schien, und das heute
noch über der Tür des Frankfurter Goethe-

J) Vgl. z. B. die Rezension des Gedichtes „Athenor" in

der Jenaischen allgemeinen Literaturzeitung 1304 07;

Schriften zur Literatur 12 und die „Annalen" vom Jahre
1805, worauf M. Fischer in seiner Arbeit „Der Unsinn
des Prinzen Pallagonia" (Allg. Ztschr. f. Psychiatrie,
Bd. 78, S. 365 ff.) 1922 schon hinwies.

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