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Architectura: Zeitschrift für Geschichte und Aesthetik der Baukunst — 1.1933 [ISSN 2365-4775]

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Nr. 4
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Lohmeyer, Karl: Palagonisches Barock
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https://doi.org/10.11588/diglit.19241#0160

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hauses angebracht ist, nicht übernahm, sondern
es zugunsten eines neuen mit dem Stern auf-
gegeben hat.

Je älter der Fürst Palagonia wurde und in eine
ihm fremde Zeit hineinwuchs, um so mehr setzte
schon bei Lebzeiten die Sage um ihn ein, wie
sie sich um alle die Personen nun einmal zu ran-
ken pflegt, die irgendwie und in irgend etwas
sich von der gewöhnlichen Umwelt abheben
oder über sie hinausragen. Es kamen die ab-
surdesten Märchen über ihn in Umlauf, so, daß
er überzeugt sei, daß alle diese von ihm geschaf-
fenen Fabelwesen in den Sandwüsten Afrikas
wirklich lebten und eines Tages entdeckt wür-
den, wie es ihm am liebsten wäre, wenn ihm
seine Gemahlin an Stelle eines Kindes auch ein
solches Monstrum in die Welt setze und derglei-
chen Unsinn mehr. In Wirklichkeit aber war er
mit einer wohlgebildeten Tochter von ihr be-
glückt worden, auf die, als eine reiche Erbin,
viele blickten, so daß die Angabe bei Goethe, er
sei Junggeselle gewesen, falsch ist, der sogar dar-
an die Bemerkung knüpft, daß ein „Hagestolz
allein, wie man an dem Prinzen Palagonia sieht,
selbst etwas Vernünftiges hervorbringt". Aber
das ist auch sehr anfechtbar, wenn man nur an
unsere geistlichen rheinisch-fränkischen Fürsten
aus dem Hause Schönborn allein einmal und an
ihre Schloßbauten unter vielen Schöpfungen
denken will. •— Und für den Fürsten war es
sicher ein Trugschluß, denn der war eben mit
einer Dame aus einem der vornehmsten Fürsten-
häuser Süditaliens und Neapels, Maria Giachina
Gaetani e Buglio aus dem Hause der Herzöge
Gaetani Centi di Ravahnuti verheiratet, dem
auch der bekannte Luthergegner Cajetan ent-
sprossen war. Und die noch sehr junge Tochter
dieser Ehe heiratete, wohl aus leicht durchsich-
tigen, ziemlich eigennützigen Gründen, seinen
schon sechzigjährigen Halbbruder, der damit
zugleich sein Eidam und alleiniger Erbe werden
wollte. Es ist das Salvatore Gravina, der erste
mit diesem Vornamen im Geschlecht und der
achte Fürst von Palagonia, derselbe, der dann
mit der Demolierung begann und damit uns und
der Kenntnis dieser Zeit und dem Ort Bagheria
und ganz Sizilien einen schlechten Dienst er-
wiesen hat. Und leider ist auch das einzig
Schöne, was er wohl anlegte, die Zypressenallee
im Sinne seiner Zeit, an Stelle der Plastikstraße,
heute auch wieder verschwunden. Er war es
auch, von dem viele Reisebeschreibungen der

Zeit berichten, daß er die Entmündigung des
Fürsten betrieb, um eine weitere Verschwen-
dung des reichen Erbes zu verhindern. Aber mit
dieser Entmündigung, von der schon Henry
Knight 1777 berichtet, muß es auch nicht allzu
ernstgenommen worden sein, da der Graf von
Borch und andere ja noch von neuen grotesken
Plastiken und Arbeiten für die Inneneinrichtung
berichten, die bei ihrem Besuch erst in Arbeit
waren. Das Bestreben der Familie, hier schon
zu Lebzeiten des Fürsten Einfluß auf allzugroße
Ausgaben zu bekommen, ist wohl menschlich
verständlich, wenn auch wieder die Höhe dieser
Aufwendungen sich in den Reiseberichten voll-
kommen widersprechen. Brydone setzt sie auf
20 000 Pfund, Swinburne, nur ein paar Jahre
danach, auf das Doppelte schon, obwohl die
Villa, als Brydone sie 1770 sah, in allen Haupt-
sachen längst vollendet war. Bartels gibt eine
Summe von 200 000 Scudi an, und derselbe
erzählt noch 1791: „Die Erben des Fürsten war-
ten izt begierig auf seinen Tod, um das Denk-
mal der Verirrung ihres Vorfahren hinweg-
räumen zu können." 1792 war der Fürst tot. —
Vielleicht hängt mit der Verfolgung durch Ver-
wandte und Behörden auch der Umstand zu-
sammen, der einmal ohne nähere Gründe be-
richtet wird, daß er nämlich seine Kutschen mit
Kupferplatten belegt haben soll. — Als der Graf
Stolberg durchreiste, lebte der Fürst nicht mehr
und viele der „abentheuerlichsten Mißgestalten"
hatte der Erbe bereits herabwerfen lassen. Aber
die einmal losgelassene Phantasie des Fürsten
wirkte weiter und weiter und kam nicht zur
Ruhe, wie es nun einmal der Fall zu sein pflegt,
wenn eine individuelle Persönlichkeit sich zu
Eigenartigem entfaltet hat, es mag bestehen in
was es nur will.

Hundert Jahre später ging Haarhaus1) „auf
Goethes Spuren" durch Italien und machte da-
bei auch voll Abneigung in dieser Hochburg des
Wahnsinns halt. Er spricht bereits von „voll-
ständigem Wahnsinn", er ist es, der durch das
Ulkwappen des Fürsten die frühe Denkart des
jungen Prinzen zu widerlichen Abnormitäten
hingeleitet sieht, und er hat auch als erster den
Verfolgungswahnsinn des Fürsten offiziell kon-
statiert, während die abgeneigtesten Reisenden
des Klassizismus, die Zeitgenossen seines Alters

1) Julius R. Haarhaus: Keimst du das Land? Bd. 9: Auf
Goethes Spuren in Unteritalien, Leipzig 1897. 3. Teil.
S. 108—110, 112 f., 126, 129.

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