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Architectura: Zeitschrift für Geschichte und Aesthetik der Baukunst — 1.1933 [ISSN 2365-4775]

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Nr. 4
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Lohmeyer, Karl: Palagonisches Barock
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https://doi.org/10.11588/diglit.19241#0163

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ritter mit den Ketten rasselte und einem plötz-
lich die Arme entgegenstreckte. Dazu kamen
noch Heiligenfiguren, die sich plötzlich öffneten
und sehr unerwartete ja selbst frivole Darstel-
lungen boten."

Und was soll man erst von dem sonderbaren
Grafen Hoditz1) sagen, gegen den unser Fürst
Palagonia ein wahrer Waisenknabe war, der we-
nigstens doppelt soviel Millionen Gulden auf
eine derartige Ausschmückung seines berühmten
Landsitzes Roswalde in Mähren an der echlesi-
schen Grenze auch für derartige Spielereien ver-
wandt haben soll, wie der Sizilianer Hundert-
tausende von Mark für seine Villa, aber nicht,
dank seiner freundschaftlichen Beziehungen zu
den größten Fürsten seiner Zeit entmündigt
würde, sondern restlos hier sein gewaltiges Ver-
mögen ausgab. Uns sein naher ihn bewundern-
der Freund, Friedrich der Große, nannte diesen
Landsitz einen „Sejour divin", weilte öfters da-
selbst zu Besuch und wurde einst in der leben-
digen Zwergenstadt des Grafen, die dieser an-
statt der steinernen Zwergenwelt des Fürsten so-
gar besaß, von dem zwergischen Zöllner beim
Betreten gefragt, ob er nichts Accisbares bei sich
führe. Und als die Verschwendung den Grafen
fast an den Bettelstab brachte, setzte ihm der
große König eine Pension aus, die er in Potsdam
in seiner nächsten Nähe zu verzehren hatte. Auch
über diese phantastische Schöpfung des 18. Jahr-
hunderts geht heute der Pflug, oder Wälder
dehnen sich über sie aus und nichts ist erhalten.
Und auch jene phantasievollen Wittelsbacher
können mit Recht zum Vergleich herangezogen
werden, wie sie alle hundert Jahre einmal im
Laufe der Zeit erschienen, um mit ihren zum
Teil extravaganten Schöpfungen ihre Lande und
die Sage des Volkes zu erfüllen, daß sie mehr in
der Erinnerung am Leben geblieben sind wie
ganze Reihen ihrer Vor- und Nachfahren, die
vielleicht bessere Regenten waren, aber dem
Volke nichts für seine Phantasie mitgeben konn-
ten. Johann Wilhelm, der Kurfürst von der Pfalz
in Düsseldorf, dieser gewaltige Kulturträger in
dies Jahrhundert hinein und Karl II. August
von der Pfalz — Zweibrücken, der Schöpfer des
mehr wie phantastischen Märchenschlosses Karls-
berg bei Homburg in der Pfalz, mögen hier aus
ihrer Reihe genannt werden, die vorerst mit
Ludwig II. von Bayern schließt.

*) J. C. Weber: II, S. 657 f. und Prokop: Kunstdenkmäler
von Mähren. (Vgl. auch Deutsches Museum v. J. 1780.)

Das Wiener „Haus der Laune" hat unser Fürst
sicher, wenigstens vom Hörensagen gekannt,
denn die Tochter Maria Theresia's und die
Schwester Kaiser Josephs II. war seine eigene
Königin, Maria Carolina von Neapel und Sizi-
lien. Es gab auch im Innern des Casinos der
Villa Palagonia ganz ähnliche Scherze, wie im
Wiener Haus, von denen wir bei Swinburne
hören: „Affen halten die Vorhänge auf; Pferde
ziehen auf Wache und Teufel stehen unten an
der Treppe, der Tanzsaal ist unvollkommen ge-
blieben, obgleich er ein Meisterstück werden
sollte; rund herum war eine marmorne Bank;
und als ich weiter nachsahe, fand ich, daß sie
eine große Menge Nachtstühle enthielt." — Und
die z. T. aus Nachttöpfen, wenn auch wohl kost-
baren keramischen gebildeten Leuchtersäulen
gehören auch hierher und die gleich Janushäup-
tern auf ihren beiden S,eiten in das erschreckende
Gegenteil sich verwandelnden Büsten und die
eines römischen Kaisers mit zwei Nasen.
Die Villa Palagonia war eben das sizilianische
„Haus der Laune", der Fürst der sizilianische
Graf Hoditz, der ja in diesen österreichisch-
wienerischen Hofkreisen wurzelte, die damals in
so nahen Beziehungen zum Königreich Neapel
standen. Aber, wenn er das Wiener Haus auch
nicht gekannt hätte, es gab genug ähnliche ab-
sichtlich widersinnige Anlagen damals in ganz
Europa, ja sie mehrten sich noch in einer klein-
licheren, und auch mehr spielerischen Weise in
der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Und
das war noch besonders in der Ausschmückung
fürstlicher Landsitze der Fall, in denen Holz-
stöße, Spiegelsäle, Heuwagen, Wohnungen für
Hofkavaliere kaschierten und andere Scherze
gang und gäbe waren. Und ihre Auszierung mit
Zwergengestalten und ähnlichen Mißgeburten
war auch besonders in rein barocker Zeit ganz
allgemein und besonders noch in Italien, wo sie
in langer Reihe selbst im Reiche Andrea Palla-
dios die Mauer der Villa Valmerana in Vin-
cenza zieren, gerade gegenüber der berühmten
Villa Rotonda Palladios, die Eigentum desselben
Vicentiner Grafengeschlechts ist.

Wir sehen also, daß unser Fürst keineswegs eine
so alleinstehende Erscheinung in Europa ge-
wesen ist, wie Goethe es wohl anzunehmen ver-
sucht war. Er hätte selbst auch gar nicht bis
Palermo zu gehen brauchen, um dortige Plasti-
ken vergleichsweise heranzuziehen. In Bagheria
standen und stehen noch in anderen Villen der-

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