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Architectura: Zeitschrift für Geschichte und Aesthetik der Baukunst — 1.1933 [ISSN 2365-4775]

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Nr. 6
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Ecke, Gustav: Zur Architektur der Landhäuser in den kaiserlichen Gärten von Jehol
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https://doi.org/10.11588/diglit.19241#0245

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zehn alten Provinzen des Reichs vergeblich Aus-
schau halten; es sei denn, daß man des Kaisers
Ch'ienlung etwas deplacierte Versuche mit dem
Barock der Jesuiter hierher rechnen will.
Nur im „unzivilisierten mongolischen Außen-
land" war es den beiden bedeutsamen Kaisern
der Dynastie vergönnt, ihr tungusisches Wesen
und zugleich den Charakter ihrer so verschie-
denartigen Persönlichkeiten auch baulich zum
Ausdruck zu bringen: außerhalb der Großen
Mauer, in der Sommer-Residenz bei den kaiser-
lichen Jagdgründen von Jehol.

Der Name „Jehol" ist von den jüngst vergange-
nen politischen Ereignissen her noch in aller
Munde; in Peking war er das schon vorher jahre-
lang, indem die unglückselige Residenz, ihrer
Abgeschiedenheit und ihres kaiserlichen Glan-
zes beraubt, immer mehr der Neugier von
Durchreisenden und dem Feuilleton anheimfiel.
Da war es denn wenigstens lohnend, mannig-
fache Meinungen und Eindrücke zu vergleichen.
Die Zwiespältigkeit der ganzen Anlagen von
Jehol, symptomatisch für ihre beiden großen
Urheber, die Kaiser K'anghsi (1662 bis 1723)
und Ch'ienlung (1736 bis 1796), zeigte sich auch
deutlich in dem Urteil der westlichen Besucher.
Es war ein boshafter Verehrer Chinas, der auf
den Gedanken kam, die Pracht von Ch'ienlungs
lamaistischen Palästen mit der Erhabenheit der
Gedächtniskirche auf dem Kurfürstendamm zu
vergleichen, die ein harmloser chinesischer Be-
sucher für ein Zeugnis altdeutscher Baugesin-
nung halten könne; ein anderer erinnerte an die
asiatischen Architekturen der Kolonialausstel-
lung und die Moschee von Paris. Und doch waren
es gerade diese „märchenhaften" Tempel tibe-
tanisch-chinesischen Stils, die prunkhaften
Zeugnisse von Ch'ienlungs überlegener Staats-
kunst, welche gewöhnlich die Begeisterung des
Touristen erregt hatten. So ist es denn vielleicht
typisch, daß solch ein Prachtbau ch'ienlungscher
Mischarchitektur ausgewählt wurde, um ausge-
rechnet die Baukunst Chinas auf der Weltausstel-
lung in Chikago zu repräsentieren—ein letjter sieht
barer Erfolg der Menschenkenntnis und stolzen
Herrscherfreude dieses zynischen Kaisergenies.
In der Tat könnte man die stattliche Reihe
mehr oder minder „kolossaler" Fassadenbauten
Ch'ienlungs als eine Architektur gewordene
captatio benevolentiae für seine tibetanisch-mon-
golischen Untertanen betrachten; als einen ge-
waltigen und höchst sichtbaren Vorschlag zur

Güte, hinter dessen glanzvoller Pose das Aus-
rufungszeichen des asiatischen Despoten spürbar
ist, ein Herrenmenschentum der Steppe. Wie
eine goldene Zwangsjacke legen sich Ch'ienlungs
prunkende Konjunkturbauten mit ihrem Bonzen-
gewimmel im Norden und Osten um die einst so
erhabene Einsamkeit von K'anghsis Berggärten
Pi-shu Shan-chuang1), und es ist nur ein schwa-
cher Trost, sie als „Prospekte" von den Höhen
des Parks zu betrachten.

Einst verlor sich der Bück von diesen stillen
Hängen unmittelbar in wildester Gebirgsöde;
wo heute die Täler widerhallen von düsteren
Litaneien verkommener Lamas, brüllten Tiger
zu K'anghsis Zeiten. Ja, gerade dies war die Ein-
zigartigkeit der K'anglisischen Schöpfung, wenn
man will, K'anghsis Ausdruck tungusischer Ur-
kraft und Größe vor dem schimmernden Hinter-
grunde chinesischer Kultur: daß die chinesische
Parkeinsamkeit, durch den wahlverwandten Bar-
barensprößling geschaffen und schwer von dem
Duft traumhafter geistiger Genüsse, nur durch
Mauer und Tal getrennt war von der feierlich-
fürchterlichen Einsamkeit mongolischen Ge-
birgs, von der Grenzenlosigkeit Asiens.
Wir übergehen die politischen Gesichtspunkte,
die den Kaiser K'anghis diesseits von Jäger-
leidenschaft und Heimweh zur Wahl dieser welt-
fernen Landschaft vor der Schwelle des Reichs
geführt haben mögen. Seine menschlichen Be-
weggründe sprach er in jener berühmten Skizze
über Jehol aus, die hier in einer Übertragung
von den Steinens mitgeteilt sei2):

„Goldene Berge laufen aus in Höhenzügen; warme Quel-
len strömen3); in Wolkentalen stauen sich tiefe Ge-
wässer; auf Steinteichen färbt sich azurn der Nebel.
Weit ist der Platz und fett das Gras: kein Harm ge-
schieht den Feldern und Hütten. Klar ist der Wind und
frisch der Sommer: gefördert wird Wohl und Gedeihn
der Menschen. Aus dem Weben des Himmels und der
Erde erlangen sich alle Dinge der Schöpfung.

Mehrmals reisten Wir zum Ufer des Stromes: tief be-
greifen Wir die blühende Heiterkeit der südlichen Brei-
ten; zweimal fuhren Wir nach Ch'in und Lung: genau
kennen Wir was immer es gibt in der westlichen Erde;
im Norden überschritten Wir den Drachensand der Gobi,
im Osten wanderten Wir zum Ewigweiß4); können Wir
4) Von Dr. D. von den Steinen wiedergegeben als „Berg-
platz Sans-Chaleur".

2) Vgl. FR, pp. 61, 62; HD, pp. 110—112.

3) Jehol = Jo-ho = „warmer Fluß".

4) D. h. zum „Ch'ang-pai-shan", an der Grenze von Korea
und der Mandschurei. In diesem Gebirge, an den Ufern
des „Bulhuri-Sees", wurde der Stammessage nach der
Ahn des mandschurischen Kaiserhauses von einer Fee
geboren; vgl. W. Fuchs, „The Long White Mountain", mit
üahlreichen Aufnahmen der fabelhaften Landschaft, im
„China Journal", Bd. XVIII, No. 4, p. 196 ff.

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