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Architectura: Zeitschrift für Geschichte und Aesthetik der Baukunst — 1.1933 [ISSN 2365-4775]

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Nr. 6
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Ecke, Gustav: Zur Architektur der Landhäuser in den kaiserlichen Gärten von Jehol
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https://doi.org/10.11588/diglit.19241#0253

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derner europäischer Perspektive im Sinne der asymmetri-
schen architektonischen Frontalansicht mit verschobe-
nem Fluchtpunkt, in durchaus chinesischer Manier vor-
getragen, die Architekturen in dem traditionellen linea-
ren Stil des „Chieh-hua". Die erste Ausgabe (CHi)
stammt aus dem 6. chinesischen Monat des Jahres
1711, während Ripa im Frühjahr oder Frühsommer des-
selben Jahres mit den chinesischen Malern die 36 Punkte
besuchte. Die in Holz geschnittenen Abbildungen dieser
sowie einer späteren Neuausgabe von Ch'ienlung weisen
eine recht langweilige und tote Technik auf. Schön wir-
ken dagegen die in kraftvoller Holzschnittmanier (in
Kupfer? siehe infra) geschnittenen doppelseitigen 36 Sich-
ten K'anghsis, die im T'u Shu Chi Ch'eng enthalten sind
(CH2); unsere Abbildungen 1 und 2 sind der Faksimile-
Ausgabe Omuras entnommen.

Der Kaiser Ch'ienlung folgte dem Beispiele seines Groß-
vaters und ließ im Jahre 1744 vierzig Schaubilder von Gar-
tenpalästen des Yüan-ming-yüan bei Peking von den
Hofmalern T'ang Tai und Shen Yüan (PE2, p. 232) her-
stellen. Nach Hinweis (PE2, p. 226) auf die belegte
frühere Zusammenarbeit Shen Yüans mit Castiglione
(1688—1766, PE2, pp. 186—189) gibt Pelliot der Wahr-
scheinlichkeit Ausdruck, daß die beiden chinesischen
Maler der vierzig Schaubilder die Prinzipien ihrer Per-
spektive von dem Italiener bezogen haben (PE2, pp. 232,
233). In der Tat sind diese vierzig Ansichten perspek-
tivisch besonders gut durchkonstruiert, wiederum im
Sinne der „geraden Ansicht" mit einem Fluchtpunkt
außerhalb des Bildrandes; die Landschaftsdarstellung im
Sinne des erwähnten „P'ing-yüan" ist der realistischen
Raumvorstellung der Architekturen vollkommen ange-
paßt und hat trotzdem noch etwas von dem Zauber sym-
bolischer Traumräume behalten — eine faszinierende
Mischung, welche diese Kompositionen den besten euro-
päischen Vedutenmalereien der Zeit überlegen erschei-
nen läßt. Vierzig Originale von T'ang Tai und Shen
Yüan (CH3) befinden sich heute in Paris (PE2, p. 232).
Dr. John C. Ferguson in Peking besitzt eine hervor-
ragend schöne Originaldarstellung des Themas IV der
Pariser Sammlung („Lou-yüeh K'ai-yün", Farben auf
Seide, 104X64,5 cm). Eine andere, dem Shen Yüan zuge-
schriebene, ebenfalls perspektivisch „richtig" kon-
struierte Vedute, eine Darstellung des Pei Hai in Peking,
von Süden in starker Aufsicht gesehen, mit der Lama-
pagode, der Marmorbrücke und Teilen des Chung Hai,
wurde im Sommer 1931 auf der Ausstellung chinesischer
Gemälde in Tokio gezeigt (KT, Bd. II, Tf. 285).
Merkwürdigerweise sind die entsprechenden Schaubilder
der „36 von Ch'ienlung benannten Anlagen etc." in Jehol
(FR, pp. 94—97) noch nicht gefunden worden. Im Bilde
kennt man diese ch'ienlungschen Anlagen nur von den
primitiven Holzschnitten des Ch'in-ting Jo-ho-chih (FR,
pp. XII, 91 ff.). Dagegen gelang es Herrn Konrad Anner
vor mehreren Jahren, von einem Hausierer in Peking
eine Sammlung von 20 Blättern (etwa 70X35 cm, Tusche
auf Papier) zu erwerben, zehn Darstellungen von Jehol-
Tempeln und zehn Schaubilder von Anlagen innerhalb
des Bergplatzes (Tf. 47 unten); diese Darstellungen
haben auf Grund ihrer erheblichen Genauigkeit ur-
kundlichen Charakter, wie ja auch alle früher er-
wähnten Schaubilder kaiserlicher Gartenpaläste. Kunst-
geschichtlich sind die Blätter der Sammlung Anner inter-
essant, da sie erst nach 1784 entstanden sein können
(der dargestellte „Wen-yüan" FR, p. 99, No. 93, wurde
erst nach 1784 gebaut), und eine unmittelbare euro-
päische Einwirkung auf die Konstruktion der Perspek-
tiven wohl nicht mehr angenommen zu werden braucht.
So ist denn auch die Vereinigung des bekannten „P'ing-

yüan" der Landschaft mit den perspektivischen Erfor-
dernissen der besonders starken Aufsichten nicht immer
einheitlich durchgeführt, sondern oft eine Teilungskon-
struktion mit zwei Standpunkten angewandt worden, so
daß dann der Horizont im Verhältnis zu den Architek-
turen zu tief liegt (Tf. 47). Man hat bei diesen späten
Bildern der Sammlung Anner den Eindruck, daß der
Maler das Fluchtpunktgesetz nicht mehr ganz verstan-
den, nicht konstruiert, sondern mehr nach dem Gefühl
gearbeitet habe, unter Anlehnung an die von Ripa und
Castiglione beeinflußten Vorbilder; ja, zweimal kom-
men sogar symmetrische Schrägansichten vor, aber das
eine Mal in isometrischer Darstellung (P'u-lo Szu), das
andere Mal mit nur einem Fluchtpunkt (An-yüan Miao).
Zusammenfassend könnte man über die 20 Blätter sagen,
daß man sich für die Veduten der ch'ienlungschen Fas-
sadentempel einen Canal oder Bellotto wünschen würde,
während bei den Ansichten der duftigen Landhäuser in
weiter Landschaft der ganze Reiz chinesischer Bauweise
auf das schönste zum Ausdruck kommt, der Sinn chinesi-
scher Architektur als einer Art „Fortsetzung der Natur
in ihrer konstruktiven Tätigkeit", wie Schinkel sich viel-
leicht auch hier ausgedrückt haben würde. Liste der
20 Blätter: P'u-jen Szu, P'u-shan Szu, P'u-lo Szu, An-
yüan Miao, P'u-ning Szu, P'u-t'o-tsung-sheng Miao, Hsü-
mi-fu-shou Miao, Shu-hsiang Szu, Chieh-t'ai, Lo-han T'ang
(FR, pp. 51—60); Ch'un-hao Hsien, Yüeh-szu Chiang-
sheng (Tf. 47 unten), Chieh-te T'ang, P'ing-hsiang
P'an (?), Ch'ing-shu Shan-kuan, Wen-yüan, Hui-ti Chi,
Ju-i Chou, Shih-tzu Yüan, Yung-yu Szu (FR, pp. 96 bis
101). Ein Teil dieser Blätter wird demnächst von Dr. Udo
v. Alvensleben veröffentlicht werden.

Tafel 2: „Eine Halle wird gebaut, sich lehnend an die
Fichten .. ." Reisepalast Ch'ang-shan Yü (FR, p. 67, PZ,
pp. 165, 166), heute verschwunden. Die beiden Aufnah-
men verdanke ich dem ehemaligen Gesandten in China
Herrn Minister z. D. Dr. v. Borch, der sie vor dreißig
Jahren zusammen mit dem damaligen Gesandten Frei-
herrn Mumm v. Schwarzenstein herstellte.

Abbildungen 3, 4: Bei meiner Untersuchung an Ort und
Stelle im Jahre 1930 fand ich, daß die Anlage des Yüeh-
szu Chiang-sheng mit unserem Schaubild übereinstimmt,
abgesehen von einigen künstlerischen Freiheiten, die sich
der Architekturmaler in der Abstimmung der Verhält-
nisse von Hoefen und Wandelgängen zugunsten der
mikrokosmischen Gesamtidee genommen hat. Es handelt
sich also um ein leicht idealisiertes Schaubild, wie denn
auch die landschaftlichen Hintergründe in ihrer atmo-
sphärischen Tiefe im Sinne einer erhabenen Öde und
Einsamkeit idealisiert sind. Dem Grundriß liegen einer-
seits die von mir an Ort und Stelle aufgenommenen
Normalmaße der vorhandenen kanonischen Hallen- und
Grundrißtypen zugrunde, auf der anderen Seite die Ver-
hältnisse des idealisierten Schaubildes.

V. Östliche Literatur (nur soweit für
diesen Aufsatz von Bedeutung)

Zur Bibliographie von Jehol siehe PE2, pp. 232, 239,
Anm. 4, 240, 273; FR, pp. XII, 91; siehe Omura, Begleit-
wort zu der infra genannten Faksimileausgabe.
CHi: „Yü-chih Pi-shu Shan-chuang Shih", herausgegeben
im 6. Monat des fünfzigsten Jahres der Regierung
K'anghsi; enthält Ansichten der „36 von K'anghsi be-
nannten Gebäude, Anlagen etc." (FR, p. 91) mit Be-
schreibungen und Gedichten von K'anghsi auf Chinesisch
und Mandschurisch; Nationalbibliothek Peking.

CH2: „Jo-ho San-chih-liu Ching", die 36 Ansichten von Je-
hol, enthaltend im T'u Shu Chi Ch'eng, Abteilung VI
(Ching-ehi), Klasse 32 (K'ao-kung), Buch 53, Kapitel

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