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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 24.1908

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11. Heft
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https://doi.org/10.11588/diglit.27776#0091
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1908

ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

Heft 11

Verbindungsgang zwischen Ausstellungshalle III und Theater-Cafe.

Architekt: Bauamtmann Wilhelm Bertsch in München.

Die Bauten der Ausstellung „München 1908“

in Vergleich all der Ausstellungsbauten, die seit
fünfzig Jahren entstanden sind, ergäbe wohl so
ziemlich das gleiche, was die Architektur über-
haupt im nämlichen Zeiträume zuwege gebracht
hat, die einfach bürgerliche, die mit allen äußeren
Zutaten der Monumentalität versehene, die kirchliche nicht
zuletzt — kurzum wenig Erfreuliches. Anatole France hat die
Architektur des 19. Jahrhunderts als die am tiefsten gesunkene
Kunst bezeichnet, mit Recht, nicht nur für Frankreich. Der
Ausspruch findet überall seine Beweise. Wäre bei Ausstel-
lungsbauten die Verwendung von Glas und Eisen wenigstens
nach den Mustern der ersten Londoner Weltausstellung 1851,
der Münchener Ausstellung 1854 (die den noch heute - leider —
im Gebrauch stehenden Glas-
palast werden ließ) weiterge-
führt, wäre der Charakter des
reinen Nutzbaues weiter aus-
gebildet worden, so hätten die
tausend und abertausend seit
dieser Zeit an allen Ecken und
Enden der Welt stattgehabten
Monstre- und Miniaturausstel-
lungen doch wahrscheinlich
Brauchbares früher, als es ge-
schehen, herangebildet. Das
wäre aber dem ganzen Wesen
dieser Zeit zuwider gewesen.

Es mußte in »monumentalem«

Sinne geschaffen und der ganze
Aufwand an Unechtheiten ins
Treffen geführt werden, der
sich überhaupt nur aufbringen
ließ. »Gschnas« nennt es der
Wiener. Also die Welt wurde
mit monumentalem Geschnas
gefüttert. Bloß hin und wieder
blieb ein Stück Ausstellung,
das nicht zu diesen Erschei-
nungen zählt: die Rotunde der
Wiener Weltausstellung, der
Eiffelturm und wenig andres
stehen, Bauten, die sich nicht
im vergänglichen Material der
»Einsommerfliegen« — so

könnte man die meisten Erscheinungen dieser Kategorie von
Bauten nennen — ausführen ließen, denn zusammengenagelte
Bretter, Lattengerüste und Gipsüberzug, das sind alles Ma-
terialien, die bloß für gutes Wetter und Sonnenschein in Betracht
kommen. Es hatte etwas Symbolisches, als an dem Kuppelbau,
der das Zentrum der Ausstellungsanlage in Turin 1902 (Inter-
nationale Ausstellung für dekorative Kunst) bildete, die riesigen,
vergoldete Kränze schwingenden weiblichen Figuren nach
längerem Regenwetter, eine um die andre, die ausgestreckten
Arme sinken ließen und die zentnerschweren Gipsmassen
polternd den Weg in die Tiefe nahmen. Was sollten einer
Kunst, die sich gegensätzlich zu allem hergebrachten Bretter-
budenplunder zu entwickeln versprach, die schlecht vergoldeten,

schnell von Regen und Sonne
ruinierten Gipskränze! — Die
letzte Pariser Weltausstellung
bot in ihren säulenhallenge-
schmückten Prachtbauten ein
ebenso trostloses Bild architek-
tonischerBeschränktheit,wiees
beim World’s Fair in St. Louis
wenige Jahre später zur Schau
gestanden hat. Überall Schein
für Wesen, Nachahmung ech-
ten Materials in den billigsten
Surrogaten und dazu obendrein
noch die Sucht des Über-
trumpfenwollens, ein Spiegel-
bild dessen, was sich in der
bleibenden Architektur als ein
Resultat der zunehmenden
Kapitalswirtschaft, deren Lü-
genhaftigkeit ja überall zum
Himmel aufstinkt, in immer
steigendem Maße zeigt. Man
scheute sich einfach sachlich
zu bleiben, im inneren Ausbau
des Wohnhauses genau so wie
bei den klapprigen Ausstel-
lungsprachtpalästen. Überall
ein architektonisches Hurra-
schreien ohne Untergrund. Die
Karl-Ludwigs-Halle auf der
Mathildenhöhe in Darmstadt

Bronzegruppe im Figurenhain. Bildhauer: Georg Römer in München.

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