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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 28.1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.27777#0014
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Seite 4

ssrchitektonische Rundschau

1912

ihm alle drei bei immer erneuter Betrachtung doch recht
roenig „aufregend“.
Cr wendete sich zum Geheimen Baurat und frug ihn,
indem er auf das non diesem protegierte Projekt mies:
„Ich mufj den Turm, der hier gezeichnet ist, schon irgend-
wo gesehen haben ich erinnere mich nur nicht, wo?“
„Den kennen Sie nicht? Cs ist der Turm oon meinem
Rathaus in Z . . . . häusen. Ich freue mich, wenn ich
sehe, dafj ein Künstler auf den Schultern seiner Vorfahren
steht, Ist der Turm etwa weniger schön, weil er schon
einmal zur Welt kam?“
Der Oberbaurat nahm ihn beiseite und flüsterte ihm
zu: „Der Rite hat ihn ja selbst erst non einem Renaissance-
Rathaus im Clsafj ^emaust!“
lTr. 29 hatte also keinen Preis erhalten. Der Bürger-
meister erklärte ausdrücklich, dafj er und seine „PRitphilister“
die e'mdrucksoollen Worte des oerehrten Rlitglieds des Preis-
gerichtes über moderne Kunst wohl zu würdigen wüfjten
und dafj sie dies dadurch zum Rusdruck bringen wollten,
da^ sie es blosj zum Rnkauf empfehlen.
Ulan beantragt Abstimmung. Die drei Taten, der
Stadtbaurat dieser unter einigen Seufzern — stimmen
zu: also die ITlajorität. Cs hat keinen Zweck, Opposition
zu machen. „Rlso bitte meine fierren — womöglich ein-
stimmig!“
Was bleibt übrig? lTr. 29 ist angekauft. ITlan oer-
zichtet auf Rngabe der Stimmenzahl im Protokoll, beglück-
wünscht sich: das grofje Werk ist getan. Das Urteil ist fertig!
Run zum Öffnen der Kuoerts: Crster Preis: lTr. 31
Kulicke in Stettin.
„Der!“ rufen mehrere Stimmen. „Das hätte ich nie
gedacht! Gin alter Konkurrenzenheld, der aber nie eine an-
ständige Ausführung fertiggebracht hat!“ „Gin Anempfinder,
der sich nach den Preisrichtern umzustimmen weifj!“
Zwei Zweite Preise: llr. 43 und lTr. 7 — Tehmann
aus Ansbach und Schmidt aus Osnabrück. Wieder grofje
Überraschung. Rur der Oberbaurat kennt den einen,
der früher sein Schüler war: „Gs freut mich, zu sehen,
dafj der junge ITlann etwas bei mir gelernt hat,“ Und
der Geheime Baurat kennt den anderen, der als Bauführer
unter seiner suchtel stand: „Ich habe ihn immer für
einen hoffnungsvollen jungen Architekten angesehen.“
Der Bürgermeister mahnt zum Diner: „Gs ist 6 Uhr
abends. Wir haben seit 9 Uhr früh gearbeitet. — Ach so,
das Protokoll!“
Ulan wendete sich an unseren sreund: „Sie haben
oielleicht die Güte, in Gemeinschaft mit dem Stadtbaurat
ein paar Worte über jedes Projekt niederzuschreiben. Gs
ist ja alles eingehend besprochen worden. Ich muij ein
buchen ins sreie. Sie sind jung, oerehrter fierr Kollege,
und tatkräftig, mir aber brummt der alte Schädel!“

Das Gssen wurde auf */28 Uhr oerschoben. Die beiden
fierren arbeiteten fleifjig. Ulan war der Ansicht, dafj
nur die preisgekrönten Arbeiten besprochen zu werden
brauchten und nur ganz kurz. Keinen Tadel aussprechen:
„Warum tollen wir die Konkurrenten ärgern!“
Um 8 Uhr waren die Besprechungen fertig. Die an-
deren fierren waren schon beim sisch. Gs wurden die
Riederschriften oerlesen.
„Ausgezeichnet! Rur eines: Kann der Satj nicht etwa
so umgestellt werden . . .?“
„Ich bin ganz einoerstanden,“ tagte der Oberbaurat.
„Kann nicht etwas schneller seroiert werden? Vielleicht
kann ich doch noch mit dem Zuge 9 Uhr 45 lllinuten
nach Berlin abfahren. Rur eines noch: Zum Glück
hat das Preisgericht fast immer einstimmig geurteilt. Aber
trotjdem halte ich es für nötig, dalj wir uns oerpflichten,
der allgemein gültigen Sitte gemälj über die internen Vor-
gänge im Gericht unverbrüchliches Schweigen zu bewahren! “
„Selbstoerständlich! Das wäre noch schöner, wenn da
etwa ein Zeitungsgeschreibe losginge!“ so tönte es oon
allen Seiten.
Das Protokoll wurde unterschrieben, auch nach der
Abreise des Oberbaurats blieb man noch lange bei Tisch.
Der Geheime Baurat erzählte oon der grofjen internatio-
nalen Jury in Peking, bei der er Preisrichter mar. Alle
staunten den gewaltigen ITlann an.
„Wie sall untere Sache nun weitergehen?“ frug der
Bürgermeister. „Ich mufj offen gestehen, mit den drei
Preisträgern in Verhandlung zu treten habe ich wenig
Tust. Sie sind nicht hier am Ort, und wir haben erfahren,
dafj es junge, unerfahrene Teute sind. Ich dächte, es sei
am klügsten, wenn wir uns mit unterem bejahrten ITUt-
bürger in Verbindung setjen, dessen Projekt ja durch ein-
stimmige Wahl angekauft wurde. Wir stellen ihm die in den
Besitj der Stadt übergehenden anderen Projekte zur Ver-
fügung und machen ihn auf deren Vorteile aufmerksam ...“
Der Oberbaurat tagte: „Die Jury ist aufgelöst; meine
Prioatansicht Jhnen mitzuteilen, bin ich gerne bereit. Ich
möchte Sie aber der Ordnung halber bitten, ein schriftliches
Gutachten oon mir einzufordern.“
Unter sreund fuhr auch bald in seine fieimatstadt
zurück. Um 11 Uhr trat er dort in die „Kunsthütte“ ein,
wo ihn die sachgenossen erwarteten. Gr erzählte das
Grgebnis, soweit ihn die Schweigepflicht nicht band.
Die sachgenossen Iahen sich untereinander mit einem
Blick des Verständnisses an: „Der ist auch nicht besser
als andere: die Preisrichterei oerdirbt den Charakter!“
Gr trank noch eine slasche in ihrem Kreise. Aber
der Wein schmeckte ihm nicht!
Cornelius Gurlitt.
 
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