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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 28.1912

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10. Heft
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https://doi.org/10.11588/diglit.27777#0048
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Architektonische Rundschau

Seite 38

1912

mit natürlichen Szenen in Verbindung zu stehen scheint, so
wird doch ein aufmerksamer Beobachter bald empfinden,
roie roichtig es ist, wenn man die Stille einsamer Gegenden,
ein gedämpftes Eicht oder die Dunkelheit selbst in geeuissen
Gebäuden andeuten und die interessanten Wirkungen daoon
in die Baukunst übertragen kann. Cinige berühmte Ge-
bäude des Altertums sind noch jetjt Denkmäler einer Be-
geiferung, die nur aus der llatur geschöpft sein konnte...
Die Geschichte der Baukunst belehrt uns endlich, dafj die
größten Baumeister zugleich grolje ITlaler oder Bildhauer
roaren . . . ssuch roird sich der Baumeister uon dem
Cesen der Dichter keinen geringen Vorteil zu oersprechen
haben. Denn der Dichtkunst ist es Dorzüglich eigen, daf3
sie die Ginbildungskraft anfeuert. Durch einen sicheren
Geschmack geleitet, roird er die Idylle in ein Candhaus,
die Gpopöe in einen Palast und den Hymnus in einen
Tempel umsehaffen.“
Wie sehr es dem Verfasser auf das Grfassen des seelischen
Gehaltes in der Baukunst ankommt, beroeist diese schöne
Definition: „...jedes Gebäude ist ein körper-
liches Symbol oondenBedürfnissen des 111 en-
s ch e n und seinem Z u st a n d e. Aber diese Bedürfnisse
sind nicht bloij Dach und ?ach, überhaupt nicht bloij
physische. Religion, Sicherheit, Aufklärung, Vergnügen,
Ginsamkeit, Schroermut, Ruhe usro., lauter Bedürfnisse des
fühlenden ITlenschen, liegen in den Grenzen dieser Kunst.
Wer sie nicht aus diesem Gesichtspunkt betrachtet, roird
in ihr nie etroas Großes leisten oder die Hilfsmittel
kennen lernen, wodurch sie ihren Werken Bedeutung
geben kann, nichts in ihr ist Bild, alles braucht Deutung,
de leichter diese ist, desto schärfer ist der Charakter eines
Gebäudes geprägt.“
Überhaupt, feingeschliffene Definitionen, roie sie jenes
nachdenkliche Zeitalter liebte, sind die Stärke des Ver-
fassers: „Die Architektur roeicht der ITlalerei und Bildhauer-
kunst nur in der Cebhaftigkeit der Cmpfindung; roenn
es aber auf Gefühl ankommt, so ist der Vorteil auf ihrer
Seite. Ich unterscheide hier Cmpfindung und Gefühl,
insofern dieses ein Urteil ist, das roir aus den Cmpfin-
dungen ziehen, roobei aber das Herz so sehr interesliert
ist, dafj ich es lieber ein Urteil des Herzens nennen möchte.“
Wie uerblüffend modern klingen die Worte: „Sogar
in einer Bauernhütte zeigt sich der empfindende Künstler;
er roird in dieses kleine Gebäude uielleicht einen einzigen
Zug zu bringen roissen, der zroar arme, aber dennoch
zufriedene und ruhige Bewohner oerrät, anstatt daij der
Handwerker nur auf den Begriff der Armut losarbeitet.
Oberhaupt denkt sich der Baukünstler allezeit den Geist
des Gebäudes zuerst und läijt ihn aus dem Körper des-
selben atmen, fett überzeugt, dafj er ihm weder durch
Cmbleme noch durch Inschriften eingehauchf werden könne.“
Unter den oerschiedenen Rütteln, den Charakter eines
Gebäudes klar auszuprägen, behandelt der Verfasser als
die roichtigsten: die Cage des Gebäudes und sein Ver-
hältnis zur Umgebung, die Gestaltung der Gesamtform,
der roesentlichen Ginzelheiten und endlich die Verzierungen.
Cs können hier nur kurze Stichproben gegeben werden,
die andeuten mögen, in welch feiner Weise diese Unter-
teilungen durchgeführt werden.
„Untere Aufmerksamkeit mufj notwendig auf ein Ge-
bäude fallen, das auf einer Anhöhe liegt, denn diese
an sich zieht schon das Auge an. Überhaupt ist dies

der schicklichste Ort für ein Gebäude, roelches eine starke
Sensation machen sall . . . Alles, was erhaben, prächtig,
heiter und lebhaft oder der Stolz eines Volkes sein sall,
fordert diese Cage. Rur, deucht mir, roürde man den
Geschmack beleidigen, roenn man Gebäude zur Schau
stellen wollte, die uns an die Schroachheiten unterer
Ratur oder an andere Übel erinnern. Gin Hospital, ein
Krankenhaus oder ein Gefängnis roürde ich nie auf eine
Anhöhe stellen .... desto reizender erscheint die durch
Hügel und Gebüsch roenigstens auf einer Seite begrenzte
Gbene. Sie ist es, die einem Gebäude unroiderstehliche
Anmut gibt, roenn es auf den Hügel oder auf das Ge-
büsch adassiert ist. Diese Cage befördert die Vorstellung
oon ländlicher Zufriedenheit unausbleiblich
Bei der Gesamtgestaltung eines Gebäudes ist in erster
Cinie sein Profil oder seine Silhouette für den Charakter
entseheidend. Um diese groije Bedeutung der Silhouette
zu demonstrieren, werden die allereinfachsten Gebäude-
formen miteinander auf ihre Wirkung oerglichen: „ITlan
oergleiche die Profile A und B (Abb. 1), so werden sich
leicht folgende Bemerkungen machen lasfen:
1. Das Gebäude A scheint höher zu sein als B,
roelches doch nicht der ?all ist. Diese Täuschung läfjt
sich also nur daher erklären, weil das Dach in B leichter
profiliert ist; und so roird man überhaupt finden, dafj
ein Gebäude an seiner scheinbaren Höhe desto mehr oer-
liert, je weiter sein Dach oon der Vertikallinie abroeicht.
2. ln dem Profil A fühlt man etroas Ängstliches,
roenn man es mit B oergleicht. Dieses scheint oiel dreister
und ungezwungener zu sein; eine unausbleibliche ?olge
des schroereren Daches in A. Die Cmpfindung bestimmt aber
auch unser Urteil oon beiden Häutern. Rieht als ob roir
oon A eine ganz schlechte IReinung hätten; aber schroer-
lich können beide Häuser einerlei Bestimmung haben oder
oon Rlenschen beroohnt werden, deren Zustand und
Denkungsart ungefähr dieselben sein möchten. In A
scheint mehr Raum zu sein als in B: im Dach roenigstens
hat man ihn sichtbar gespart. Diese Vermutung oon
Häuslichkeit fällt in B weg. Hier roohnen heitere, fröh-
liche und sorglose ITlenschen. Auch scheint A nicht so
sehr als B beoölkert zu sein, roelches uns aus den ent-
fernten seuerstellen und Schornsteinen in A glaublich
roird. So einsam, abgesondert und still leben die Cin-
roohner in B nicht. Wenn aber dieses Haus der Aus-
enthalt geselliger sreuden ist, so scheint bei den Cin-
roohnern in A mehr Arbeitsamkeit und nü^licher sseifj
zu herrschen. Sollte in einem dieser Gebäude das Be-
wohnen nur eine Rebenabsicht sein, so roäre es geroiij in A.
Das Profil C hat nichts Auffallendes; aber man sieht
es gerne in seiner niedrigen Bescheidenheit. Hier roohnen
ruhige und zufriedene Rlenschen, die oon allen Präten-
tionen sehr roeit entfernt sind, in angenehmer Stille.
mit ungleich -mehr ?euer ist D gezeichnet. Cs ist
gerade das Widerspiel oom oorigen. Hier sucht man
mehr als Wirtbarkeit; man bemerkt in diesem Profil
etroas Dreistes und Heroorstrebendes, roelches auf einen
ähnlichen Charakter der Beroohner anzuspielen scheint.
Auch ohne Vergleichung mit diesem roird das Profil C
einen roidrigen Cindruck machen. Traurige und unglück-
liche ITlenschen ziehen sich hier um den ITlittelpunkt des-
selben zusammen und drängen sich um einen gemeinsamen
Herd. Das ängstlich profilierte Dach ist nur eine dürftige
 
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