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Harkort und Schröder aufweisen, hat sich Straumer nur zögernd eingetastet und voller
Mißtrauen gegen die Gefahr einer leeren Ziermacherei. Es ist ihm aber geglückt, den
größeren Reichtum ganz einem höheren Stimmungsgehalt dienstbar zu machen. Diese
Stuck- und Schmiedearbeiten sind nicht Kunstwerke, die das Haus als Ausstellungs-
gelegenheit benützen, sie sind als neue Strophen restlos in das Gesamtgedicht aufgegangen.

Man kann von Straumer sagen, daß er jene architektonischen Aufgaben, die einen
ausgesprochenen Charakter haben, mit Genauigkeit trifft, ob es sich nun um eine Land-
kirche, um einen Bahnhof, ein Museum, um ein Künstlerfest, um eine Straßendekoration
oder um eine Friedhofsgruft handelt. Ins Blaue hinein entwerfen, rein aus Vergnügen
am Formenspiel, kann er nicht. Das Leben muß ihm die Formen suggerieren. Aber das
könnte er, einem Ort, einer ganzen Stadt Charakter geben, falls sie mehr sein will, als
eine unorganische Ansammlung von Steinhaufen,

Die schlimmste Not ist es für den Architekten, wenn er sein Haus nicht mit der
Umgebung zusammenkomponieren kann. Unsere Großstädte, aber auch unsere Villen-
vororte, sind ein fortlaufendes Beispiel für diese allgemeine Notlage. Kaum einmal hat
einer freiwillig auf das Haus des Nachbarn Rücksicht genommen. Um so größer ist das
Glück, wenn man eine vollständige Siedelung oder wenigstens eine Gruppe gestalten darf,
wie es Straumer bei der „Gruppe an der Buche“ in Frohnau getan. Wie unsere Villen-
vororte aussehen könnten, wie sie schöne organische Einheiten hätten werden können,
lehrt diese Gruppe. Statt dessen stehen in der Regel die Häuser wie auf einem Schach-
brett, jedes hübsch isoliert und möglichst gegensätzlich zum Nachbarn. Soll es in Zukunft
anders werden, so wird es nur gehen, wenn wir für ganze Siedelungen, wie in Rahnsdorf,
die Pläne im voraus feststellen. Ohne solches Gliedern und Gruppieren, Zusammenfassen
und Ordnen bleibt jeder Ort ein Greuel. Das gilt erst recht für die Großstadt, Da
könnten wenigstens die neueren Teile noch gerettet werden. Die beste Straßenanlage nützt
nichts, wenn nicht eine kräftige Disziplin die Einheitlichkeit der Baublöcke erzwingt.

Man kann nur wünschen, daß es Straumer vergönnt sein möge, auch auf diesem
Gebiet seine gesunden Instinkte, seine mitreißende Künstlerenergie einmal nützlich zu
betätigen.

Die Aufgabe des modernen Städtebauers ist ja weniger, für seine Stadtgemeinde
möglichst fleißig Jahr für Jahr einige Prachtbauten zu entwerfen. Das heißt doch im
Grunde nichts anderes, als daß man in erster Linie auf seinen Architektenruhm bedacht
ist, daß man seine Stellung benützt, um die mit geringeren Mitteln arbeitenden Privat-
architekten zu übertrumpfen. Darauf kommt es aber doch wirklich nicht an, Stadt-
schönheit entsteht nicht so, daß jedes Viertel im Lauf der Jahre ein Glanzstück erhält.
Die Architektur der Stadt gleicht einem großen Orchester. Jedes Instrument hat die
Tendenz, sich auf Kosten der andern vorzudrängen. Eins will das andere übertönen.
Da ist es Sache des Dirigenten, das mißtönende Chaos zu klären, die Stimmen zu-
sammenzufassen, hier eine Melodie herauszuheben, dort zu dämpfen, durch An- und
Abschwellen eine große Linie herauszuarbeiten. So entstehen Einheit und Charakter.
Der Städtebauer soll mehr Dirigent sein als Spieler, Die Gesamtarchitektur der Stadt
soll er organisieren und schauen, daß sie, bei allem Reichtum an individueller Eigenart,
eine große einprägsame Linie erhält. Er kann aber solche Disziplin von allen Seiten
nur erwarten, wenn er selbst mit gutem Beispiel vorangeht, Bei seinen eigenen Bauten
hat er ganz besonders darauf zu achten, daß er für jeden Ort den rechten Ton finde.
Zurückhaltung ist der billigste Schmuck und für den Städtebauer die notwendigste
Tugend. Nur der sollte das schwere Amt des Städtebauers übernehmen, der eine
schaffenslustige und schöpferische Faust besitzt und trotzdem gezeigt hat, daß er
Disziplin über alles stellt,

A. Jaumann,

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