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Bauentwicklung und Einordnung der Zitadelle

5. Bauentwicklung und Einordnung der Zitadelle

So wichtig es ist, Entstehungszeit und Verfasser des "Lynarplans" zu klären, so unbefriedi-
gend müßte es sein, sich mit der Beantwortung dieser Frage zu begnügen. Denn kein Bauwerk
entsteht allein aus den Fähigkeiten seines Architekten, und jeder Entwurf drückt wesentlich
mehr aus als die Vorstellungen von Bauherr und Architekt. Entwurf und Bauwerk sind viel-
mehr stets Antworten auf konkrete Bedürfnisse, Interessen und Notwendigkeiten nicht nur
einzelner Menschen, sondern mehr oder minder umfassender gesellschaftlicher Gruppierungen,
zu denen neben Bauherrn und Architekten zunächst auch die Menschen gehören, die das Bau-
werk errichten und nutzen oder von seinen Auswirkungen betroffen sind. Im Falle eines Bau-
werkes, das strategischen Zwecken dient, ist darüber hinaus ohne weiteres einsichtig, daß
sich auch die Interessen solcher Menschen auf das Bauwerk auswirken, die nur indirekt damit
zu tun haben, wie etwa die politischen Pläne eines Fürsten in einem Nachbarland, die den Bau
von Festungen als vorbeugende Verteidigungsmaßnahme notwendig erscheinen lassen, oder die
Ideen weit entfernt lebender Baumeister, die die Planungsprinzipien auch solcher Festungen
völlig verändern, mit denen sie direkt gar nichts zu tun haben. Die Vielfalt solcher gesell-
schaftlicher Einflüsse formt jedes Bauwerk und ist daher auch in ihm sichtbar, jedoch sind
stets zusätzliche Informationen notwendig, um diese Hintergründe bewußt und verständlich zu
machen. Fassen wir daher zunächst in den Grundzügen zusammen, was wir über die Entsteh-
ung und Architektur der Zitadelle erfahren haben, und ziehen wir darüber hinaus Vergleichs-
bauten gleicher Funktion und Entstehungszeit heran, die verdeutlichen können, was an der
Zitadelle "typisch" bzw. was eher ungewöhnlich ist.

1559 beruft der Kurfürst von Brandenburg, Joachim II (Regierungszeit 1535-71), die Stände
zu einem Landtag ein, auf dem beschlossen wird, die Burg Spandau mit hohem Aufwand zu

modernisieren. Man dürfte schon aus diesem Grunde annehmen, daß bald danach ein geeigneter

129)

Baumeister beauftragt wurde, für diesen Ausbau einen Plan zu erarbeiten . Dieser Plan ist
nicht erhalten geblieben, aber wir besitzen zwei Quellen, die wichtige Angaben über ihn ent-
halten .

1560 nämlich, im Jahre des tatsächlichen Baubeginns, legt ein Artilleriespezialist, ein sogenann-
ter "Büchsenmeister" unbekannten Namens, eine Liste der notwendigen Geschütze für die ge-
plante Festung vor, um sie schon während des Baues der Festung kaufen oder neu gießen zu
können . Aus diesem Armierungsplan geht eindeutig hervor, daß die geplante Festung in
den Grundzügen schon der später ausgeführten entsprach. Es werden vier Bastionen mit ihren
Flanken und "Katzen" bzw. "Kavalieren" aufgeführt, deren Orientierung den heute bestehen-
den entspricht. Die Zahl der vorgesehenen Geschütze erweist, daß auch ihre Größe nicht hin-
ter der späteren Ausführung zurückbleiben sollte.

1561 findet dies eine Bestätigung in dem Tagebuch des auf der Burg in Spandau übernachten-
den italienischen Diplomaten Ruggieri, der gleichfalls eine in Planung befindliche Festung mit
vier Bollwerken ("baluardi") beschreibt, freilich in etwas verwirrenden Sätzen, so daß man

stellenweise auf die Idee kommen könnte, er habe die Festung schon vorgefunden, was ein

131)

Jahr nach Baubeginn freilich unmöglich ist . Er scheint vielmehr mit dem italienischen Bau-
meister der Festung gesprochen zu haben bzw. hat sich wahrscheinlich den Plan zeigen lassen,
der ihn besonders interessiert haben dürfte, weil die Festung ja in jenem neuen "System" ge-
plant war, das in seinem Heimatland entstanden war. Ein besonderes Interesse an Architektur

132)

wird ohnehin durch zahlreiche Bemerkungen in seinem Tagebuch bestätigt

Wer nun hatte diesen Plan 1559 oder 1560 gezeichnet bzw. die Festung entworfen? In den Quel-

133)

len und der Literatur wird verschiedentlich der Deutsche Christoph Römer genannt , gegen
den jedoch schon nach dem bisherigen Forschungsstand zahlreiche Hinweise sprachen, nach
denen der erste Baumeister der Festung Italiener war. Zu diesen Hinweisen zählt nicht nur

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