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Blum, Gerd
Hans von Marées: autobiographische Malerei zwischen Mythos und Moderne — München, Berlin, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.14541#0304

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VII. Marees im kulturgeschichtlichen Kontext

Ausblick auf die Gegenwart
Kulturgeschichtlich aufschlussreich ist ein Blick auf die Karriere des nicht zuletzt
auf Marees zurückgehenden Stab- und Fahnenmotivs in der deutschen Kunst des
20. Jahrhunderts. Sind Corinths und vielleicht noch Barlachs gerüstete Lanzen-
träger,1" sind Rilkes Cortiet (Fähnrich) und möglicherweise noch Carl Hofers Stab-
träger'3 ebenfalls als Kämpfer für (die deutsche) Kunst und Kultur intendiert,
so werden nach dem Fahnen- und Standartenkult des Nationalsozialismus tradi-
tionelle Stab-, Lanzen- und Fahnenmotive in der deutschen Nachkriegskunst mit
vielfältigen Brechungen wieder aufgenommen: So in Georg Baselitz’ frühen, pathe-
tisch gebrochenen Gemälden von Fahnenträgern11 und in einer Aktion von Josef
Beuys. In dessen Selbstinszenierung als griechisch-germanisch-keltischer Dory-
phoros/Parsifal in der Aktion Celtic (Kinloch-Rannoch), Schottische Symphonie
von 1970 (Abb. 109) wird das von Marees und Corinth vertraute Motiv der Selbst-
darstellung als >Kunstsoldat< in seinem Pathos ikonographisch und materialiter
(durch Anspielung auf die heilende Lanze Parsifals, durch Tesafilm und Infu-
sionsleitung) sowohl bestätigt als auch durchkreuzt."’ Durchdringen sich in diesen
Werken von Beuys und Baselitz kritische Absetzung und innere Bindung an die
>deutsche< Künstler- und Kriegerikonographie zwischen Stab und Standarte, zwi-
schen Landsknecht und »Cornet«, so haben sich Timm Ulrichs mit seiner Selbst-
inszenierung als Träger eines (Blinden-)Stabes in der >Demonstration< Ich kann
keine Kunst mehr sehen (Abb. 110) von 1975‘6 und Sigmar Polke mit seiner Paro-
die Der Mann, der des Stabes mächtig von der Prätention omnipotenten künst-
lerischen Kämpfens doppelbödig verabschiedet.'7 Umso erstaunlicher, dass Dekla-
rationen eines Documenta-Künstlers von 2002, Thomas Hirschhorn, durchaus
Anklang finden: »Ich kämpfe nicht für mich, ich schulde anderen meinen Sieg.«
Hirschhorn sieht sich als »Missionar« und als »Arbeiter, Künstler, Soldat«. 8

VII.2. Universalismus und Ressentiment

Universale Werte des Menschlichen sind in der Sicht von Marees in Antike und
Renaissance zu Bildern von normativer und überzeitlicher Geltung geronnen. Auf
diese Vorbilder griff er bei der verallgemeinernden Fortentwicklung autobiogra-
phischer Motive in den >Hesperidenbildern< zurück.

72 Vgl. zu Barlach die Abb. in Paret 2001, S. 179. und zu Corinth: Lott-Reschke 2004.
73 London/Barcelona/Berlin 1996, Abb. S. 304, 335, 337.
74 Vgl. etwa Berlin 1990b. Nr. 2; Franzke 1988. Vgl. a. Herford 2005, S. 172.
75 Vgl. Stüttgen 1981: Schneede 1994: Gieseke/Markert 1996; Lange 1999.
76 Vgl. die Kritik, die Timm Ulrichs 1978 mit Bezug auf Ich kann keine Kunst mehr sehen »am
Künstler als dem [...] selbsternannten »Seher« [...]« und im Hinblick auf »die Begrenztheit
und Beschränktheit des Wahrnehmungsvermögens« vorbrachte (Ulrichs 1980 [1978], S. 62 —
63, hier S. 63); vgl. auch Ulrichs 1973 und 2004.

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