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Nieeolo Pisano und die Protorenaissance

(um 1250 bis 1300).

Die Bildwerke, in denen der plastische Schmuck der Portale
des Doms zu Lucca seinen Abschlufs erhielt: die Kreuzabnahme in
der Lünette, die Geburt Christi und die Anbetung der Könige
am Architrav des linken Seitenportals, verraten einen Künstler
ganz anderer, ganz neuer Art. Hier herrscht echt plastischer
Sinn und grofse, ja in der Kreuzabnahme eine fast gewaltige
Auffassung; daneben erscheinen selbst die wenig älteren Skulp-
turen des anderen Seitenportals nur als befangene Leistungen
fleifsiger Steinmetzen. Vasari bezeichnet als Künstler dieser
Arbeiten den Niccolo Pisano (um 1206 bis nach 1280); mit
vollem Recht, wie der Vergleich mit seinen beglaubigten Ar-
beiten, namentlich mit der 1260 vollendeten Kanzel im Baptiste-
rium zu Pisa beweist. Der Bildhauer Niccolo di Piero, der sich
nach seinem Geburtsort Pisano nennt, steht auf den Schultern
jener älteren lombardisch-toskanischen Bildnerschule; speziell hat
er in den Arbeiten an der Domfassade zu Lucca seine un-
mittelbaren Vorläufer. Dies gilt sowohl für die plastische Ge-
staltung wie für den geistigen Inhalt seiner Kunstwerke, während
die dekorative, an byzantinischen Vorbildern grofsgezogene
Plastik Süditaliens, mit der man den Niccolo (wegen der frag-
würdigen Herkunft seines Vaters aus Apulien) hat in Verbindung
bringen wollen, im vollen Gegensatze zu Niccolo's Kunst steht.
Aber auch gegenüber jener älteren Plastik, aus der er hervor-
geht, erscheint der Künstler recht eigentlich als Reformator.
Niccolo Pisano ist kein Naturalist wie die Meister des-Qurrrrro-
cento; er steht den Künstlern des Cinquecento weit näher, denn
sein höchstes Streben ist klassische Schönheit, der er durch das
Studium und selbst durch unmittelbare Nachbildung der Antike
nahe zu kommen sucht. Freilich waren in Italien die antiken
Reste schon früher, ja regelmäfsig im Mittelalter das Vorbild
für die bildnerische Thätigkeit gewesen; aber diese hatte aus
eigenem Unvermögen in halb unbewufster, sklavischer Weise
die alten Vorbilder nachzuahmen bestrebt. Bei Niccolo Pisano
ist der Anschlufs an die Antike, deren Schönheit er zuerst
wieder klar erfafste, ein völlig bewufster; er wählt die Vorbilder
 
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