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Braun, Joseph
Praktische Paramentenkunde — Freiburg i. Br., 1924

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https://doi.org/10.11588/diglit.2048#0110
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8ti

gebraucht werden sollte, gelangen bei derselben bloß
der gewöhnliche Kreuzstich, der langgezogene
Kreuzstich, der halbe Kreuzstich und allen-
falls noch der Gobelinstich zur Verwendung, da
es hier nicht sowohl auf die eigenartige Wirkung
der Stiche als auf das Muster ankommt.

Die Kanevasstickerei, bei welcher als Stick-
grund Zwirnkanevas oder grobes, lockeres Linnen,
wie z. B. sog. Holbein-Linnen oder Siebmacherlinnen
benützt wird, unterscheidet sich von der Stramin-
stickerei dadurch, daß bei ihr nur das Muster aus-
geführt, nicht aber auch der Grund überstickt
wird. Technisch besteht keine wesentliche Ver-
schiedenheit zwischen Kanevas- und Stramin-
stickerei. Dieselben Stiche, welche bei der Stramin-
stickerei angewendet werden, dienen auch zur Her-
stellung von Kanevasstickereien, nur daß sich bei
letzteren zu ihnen der sog. Strichstich gesellt, ein
wagerechter oder senkrechter, dem Steppstich ähnlicher
Stich, wie er bei Ausführung des Kreuzstiches auf der
Rückseite der Stickerei zu entstehen pflegt.

In derParamentenstickerei findet die Kanevasstickerei
vorzüglich zur Herstellung sog. altdeutscher Liu-
nenborten Verwendung (s. Bild 2 auf Tafel V). Als
Stickgrund nimmt man zu denselben am besten

grobes Linnen oder feinen Kanevas, als Stick-
faden türkischrotes oder indigoblaues Baumwollgarn.
Wird feines Linnen als Stickgrund gebraucht, und
findet man es zu mühsam, die Fäden für die einzelnen
Stiche abzuzählen — was freilich das beste ist —,
so kann man sich damit helfen, daß man die Kreuz-
stiche über dünnfadigen Kanevas, welchen man dem
Linnen aufgeheftet hat, ausführt. Nach Vollendung
der Stickerei werden die Fäden des Kanevas durch-
schnitten und vorsichtig herausgezogen. Als Stick-
muster sind für die altdeutsche Linnenstickerei bloß
Gebilde von streng geometrischem Charakter verwertbar.
Pflanzenmotive, wie Bäumchen, Blumen, Blätter, Ranken
und Knospen, und Tiermotive können daher bloß dann bei
den Borten Verwendung finden, wenn sie geometrisch
umgestaltet, d. i. in geradlinige und eckige Formen
gekleidet sind. In keinem Fall eignen sich für die-
selben figürliche Darstellungen, weil solche durch die
unumgänglich notwendige Umbildung zu Mißgestalten
werden müßten.

Die altdeutschen Linnenborten sind zwar
nicht' die beste, doch immerhin eine recht brauchbare
Verzierung für Alben, Altartücher und sonstiges
Kirchenlinnen. Sie müssen aber aus genügend leichtem
Stoff bestehen und sauber gearbeitet sein.

FÜNFTES KAPITEL.

PRAKTISCHE BEMERKUNGEN FÜR DIE AUSFÜHRUNG VON STICKEREIEN.

1. Das Zusammenstellen der Vorlage. Nicht selten
enthalten die Vorlagewerke der Raumersparnis halber
statt des ganzen Musters nur die zur Zusammen-
stellung desselben erforderlichen Teile. Namentlich
trifft das bei Entwürfen zu Kasel- und Pluvial-
besätzen, Stolen und Baldachinbehängen zu. In solchen
Fällen ist es für die Stickerin die erste Aufgabe, aus
den ihr gegebenen Teilen eine vollständige Zeich-
nung zusammenzusetzen.

Man nimmt zu dem Ende möglichst durchsichtiges
Pergament- oder kräftiges, transparentes Zeichen-
papier von der Größe des ganzen Musters, bringt auf
demselben die genauen Umrisse desselben, z. B. einer
Stola, eines Kaselkreuzes, eines Pluvialschildes usw.,
an und fügt dann in diese Umrisse an den gehörigen
Stellen die gegebenen Teile der Vorlage ein, indem
man das Papier über dieselben legt und die Linien
der Vorlage mit Bleistift auf dem durchsichtigen
Papier nachzeichnet. Dabei ist es natürlich not-
wendig, durch Einstecken von Heftzwecken und Steck-
nadeln oder sonst in einer Weise dafür zu sorgen,
daß sich das Papier auf der Vorlage nicht verschiebe.

Muß man dabei einen Teil auch umgekehrt in die

Umrisse eintragen, wie das z. B. bei den Armen der
Kaselkreuze, bei nur zur Hälfte gegebenen Pluvial-
schilden und Mittelstücken von Schultervelen, bei sym-
metrischen Altartuchbesätzen und Baldachinbehängen1
der Fall ist, so geschieht das am einfachsten in
der Weise, daß man die Vorlage umgekehrt gegen
eine Fensterscheibe, das Papier, auf dem man die
Gesamtzeichnung herstellen will, aber auf die Rück-
seite der Vorlage legt und dann auf dem Papier die
Zeichnung mit dem Bleistift nachzieht.

Eine zweite Manier ist folgende: Man legt das
Papier so über die auf dem Tisch bzw. Zeichenbrett
befindliche Vorlage, daß seine Oberseite nach unten
gewendet ist, paust das Muster auf die Unterseite
des Papiers durch, hält dieses dann mit der Unter-
seite gegen eine Fensterscheibe und zeichnet mit dem
Bleistift auf seiner Oberseite die von der Unterseite
her durchscheinende Kopie nach.

Eine dritte Weise besteht darin, daß man nach
Durchzeichnung der einen Hälfte eines symmetrischen
Musters das Papier in der Mitte nach der Unterseite
zu zusammenfaltet, das gefaltete Papier, die fertige
Hälfte dem Fenster zugewendet, gegen eine Fenster-

1 Symmetrisch heißen die Besätze, wenn das Muster, mit dem sie versehen sind, aus zwei gleichen, aber nach entgegen-
gesetzter Richtung laufenden Teilen besteht.
 
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