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Burckhardt, Jacob; Bode, Wilhelm
Der Cicerone: eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens (Band 1): Antike Kunst — Leipzig, 1884

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https://doi.org/10.11588/diglit.17367#0177
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Laokoon. Farnesischer Stier.

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könne. Das Erste, worüber man genau ins Klare kommen muss, ist
der Moment, dessen Wahl und Bezeichnung an sich schon ihres
Gleichen nicht mehr hat. Man wird finden, dass derselbe aus einem
unvergleichlichen Zusammenwirken einer Anzahl Momente verschie-
denen Grades besteht. In und mit diesen entwickeln sich die Charak-
tere zu einem Ausdruck, welcher in dem Kopfe des Vaters seinen
höchsten Gipfelpunkt erreicht. Bei weiterer Betrachtung wird man
inne werden, wie die dramatischen Gegensätze zugleich die schönsten
plastischen Gegensätze sind, und wie die Ungleichheit der beiden
Söhne an Alter, Grösse und Vertheidigungskraft ausgeglichen wird
durch jene furchtbare Diagonale, welche in der Gestalt Laokoons
sich ausdrückt; die Gruppe erscheint schon als Gruppe absolut voll-
kommen, obschon sie nur für die Vorderansicht bestimmt ist. Das
Einzelne der Durchführung ist dann noch der Gegenstand langen
Forschens und stets neuer Bewunderung. Sobald man sich Rechen-
schaft zu geben anfangt über das Warum? aller einzelnen Motive,
über den Mischungsgrad des leiblichen und des geistigen Leidens,
so eröffnen sich, ich möchte sagen, Abgründe künstlerischer Weis-
heit. Das Höchste aber ist das Ankämpfen gegen den Schmerz, wel-
ches Winckelmann zuerst erkannt und zur Anerkennung gebracht
hat. Die Mässigung im Jammer hat keinen bloss ästhetischen, son-
dern einen sittlichen Grund1).'

Die figurenreichste Freigruppe der alten Kunst ist endlich die
des Farnesischen Stieres in der danach benannten Halle des
Museums von Neapel (Galleria lapidaria); ein Werk des Apollonias a,
und Tauriscus von Trabes, welche vielleicht der rhodischen Schule
des 2. Jahrhunderts v. Chr. angehörten. So wie sie jetzt vor uns
steht, ist sie dergestalt mit antiken und modernen Restaurationen

1) Burckhardt's obiges Urtheil über die Laokoonsgruppe fdie eeit Jahrhun-
derten unangetastete Ansicht) habe ich nicht zu ändern gewagt, da auch heute
noch, trotz der Pergamenischen Funde, namhafte Archäologen (Brunn an der
Spitze) dafür eintreten. Im Gegensätze gegen diese scheint jetzt die Ansicht, dass
die Schöpfung das Laokoon keine ganz originelle und naive sei, sondern unter
dem Einfluss des grossartigen Frieses entstanden sei, mehr und mehr an Anhän-
gern zu gewinnen. Ob der von der Schlange der Athena überwältigte junge
Gigant das Vorbild für das Motiv des Laokoon abgegeben hat, kann bezweifelt
werden, ganz sicher ist der Kopf des gegen die Hekate kämpfenden Giganten
im Kopfe des Laokoon fast copirt worden. Ein Vergleich der Arbeit, wie er
namentlich in den Schlangen angestellt werden kann, zeigt .so offenbar den Vor-
zug des Frieses, dass nicht er vom Laokoon abhängen kann, sondern das Origi-
nalitätsverhältniss das umgekehrte gewesen sein muss. Die theatralischere Auf-
fassung wie die Steigerung des Schmerzes im Ausdruck sprechen gegenüber den
Gestalten des Frieses ebenso sehr für diese Auffassung wie der Umstand, dass
die Composition des Laokoon mehr für das Relief als für eine Gruppe gedacht
' erscheint. Die neuerdings aufgestellte Meinung, dass, entsprechend einer Version
■der antiken Sage, der eine Sohn nach der Ansicht des Künstlers gerettet wor-
den sollte, ist nicht wahrscheinlich.

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