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Bemerkungen eines im Ausland aufgewachsenen Deutschen

Im Urteil übcr uns selbst ist heute eine große Mehrheit von uns bei der
Ueberzeugung angelangt, daß die Deutschen erwiesenermaßcn und in un-
heilbarcr weise ein politisch unbegabtes volk scicn; woraus die Folgerung
gezogen wird, wir sollten von nun ab und endgültig uns von der politik
zurückziehen. Gcmeint ist damit allerdings nur die eine Richtung der poli-
tik, die äußere, während dieselben Ratgcber um so fesrer an unsere Zähig-
keit glauben, den deutschen Staat im Innern in wcishcit und Schönhcit
zu ordnen; dies sci unsere wahre politische Mission und durch das Vorbild,
das wir hierin den Völkern geben würden, werde wirklich noch einmal
das wohlklingende Reimwort „am dcutschen wesen — die welt genesen"
wahrhcit werden. Auf den zweiten Teil dcr Behauptung will ich nicht
weiter eingchen; er isr so schr Glaube an etwas Unsichtbares, daß sich
darübcr nicht reden läßt. Dagegen wird der crste Teil, der Satz von dem
allgemcincn und daucrnden Nichtbcruf der Deutschen zur politik (80.
äußercn), bevor er angenommen wird, noch der prüfung bcdürfen.

Das deutsche Volk ist nicht von durchaus gleichartiger Struktur; seine
Teile haben in ciner bcispiellos zcrsplitterten Gcschichte sehr verschicdene
Schicksale durchlebt und Linflüsse crfahrcn; es wirü angcsichts dcssvn
mißlich ftehen mit der Annahmc, daß die Nation in ihrer ganzen Aus-
dehnung an bcstimmten Ligenschasten den gleichcn Anteil habe. Daß sich
Nord und Süd, genaucr Nordost und Güdwest, zu einander verhalten wie
komplemcntäre 8«rben, ist uns sehr bcwußt. Sollten sie nun im punkte der
politischen Begabung, vielmchr Nichtbcgabung, nicht ungleich geartct
sein? Es ist nicht nörig, auf lange Iahrhunderte zurückzugchen, das letzt-
vergangcne gibt genügend Auskunft. Von wo ist der wille ausgegangen,
Dcutschland von der napolconischen Fremdherrschaft ^ befreien) Vom
Nordosten. Von wo aus ist es fünfzig Iahrc spätcr geeinigt worden? Vom
Nordoften. welchem Tcil hat in den kritischen letzten Iahren die Mehr-
zahl der lcitendcn Männer angchört) doch wohl dem Südwestcn. Von
Bethmann-Hollwcg sagte bei seinem Amtsantritt der geistreiche General-
scldmarschall Graf Schlieffen: „wie kann ein Mann aus Frankfurt etwas
von preußcn vcrstchen)" Und dies Witzwort ist fürchterlich wahr ge-
worden. Immer wciter ging das preußische Llcment zurück, bis es aus der

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