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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,3.1916

DOI Heft:
Heft 13 (1. Aprilheft 1916)
DOI Artikel:
Stapel, Wilhelm: Was die Kirche sein könnte
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https://doi.org/10.11588/diglit.14293#0018

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Verderben zu sein schien, ist uns nun sehnsuchtsvolles Leben geworden,
das alles zu unserm Herzen sich drängt, das freundliche oder harte Worte,
aber Worte der Liebe sucht. In einem Licht von neuer Art sehen wir alle
Menschen und Dinge neu. „<Ls leucht wohl mitten in der Nacht, und uns
des Lichtes Kinder macht."

Dieses „Licht" ist keine Sache, sondern es ist etwas ewig Persönliches.
Ls quillt aus den rätselhaften Gründen der Seele auf als ein Teil des
gestaltenden Lebensstromes selbst. Du denkst und benennst es als Licht,
Liebe, Güte, Vertrauen — aber indem du so sprichst, blickst du schon auf
einen entschwundenen Lichtstrahl, auf verrauschte Wogen zurück und
hast nnr noch ein Bild, einen Begriff, einen Satz in der Hand. Mit
Worten und Begriffen fassen kannst du es nicht. Du bist Liebe, Güte, Er-
barmen, anders „hast" du sie nicht. Sie brechen „von selbst" herauf in
der Seele oder entzünden sich an andern Seelen wie ein Licht am andern.
Darum kommt dieses Leben nur immer mit der Seele in ihrem Handeln
zutage. Wo es an den Tag tritt, da empfinden wir's als etwas Neues,
das nicht zum nüchternen Alltag gehört. Darum nennen wir es eben
mit Wörtern wie ewig, wahrhaft, göttlich, heilig. Als etwas so über die
Maßen Besonderes erscheint es uns. Und ist doch i n uns.

Blicken wir durch die Geschichte zurück, so gewahren wir in ihr hier
und da das Ausleuchten solch eines Lichtes. Als ein Offenbarwerben
ewiger Mächte wurde Iesus von seinen Iüngern empfunden. Mit ihm
sahen sie die Welt neu, durch ihn wurden sie selbst neu. Sie empfanden
das in sich als das „Reich Gottes", das „die Welt überwindet". Und sie
suchten all das neue Leben zusammenzufassen gegenüber der Welt in einer
„Gemeinschast der Heiligen", in einer Kirche. Die Lebensgemeinschaft der
erneuerten Seelen war und ist der Sinn der Kirche, an dem jeder Zu-
stand der Kirchen gemessen und gewertet werden muß.

Wohl, und was gibt nun davon die Kirche, die tauft und konfirmiert
und Grabreden hält, die zur Ehre einer Gottesidee Gebäude aufführt
und darin predigen und singen läßt, die Kollekten sammelt und Arme
unterstützt? Ist das nicht alles gut weltlich und menschlich? Erbt es
sich nicht an tausend Orten nur fort als fast gedankenlose Gewohnheit?
Was ist daran Heiligeres als am Korn säen oder Rekruten einüben?
Die Gemeinschaft der Heiligen — suche die Kirchen im Lande auf und ab —
ist sie dort?

Aber sind unsre Kirchen nicht Erziehungsanstalten, welche die Seelen
empsänglich machen sollen für das ewige Licht, welche die Menschen
zur Liebe wenden und aus der Befangenheit im Nur-Irdischen vielmehr
herausreißen sollen? Niemand verneint, daß wir solche Anstalten brau-
chen. Doppelt in den Zeiten der härtesten Selbstsucht, in Zeiten, da die
Eigensucht für ihre Zwecke die Welt mit allem, was darin lebendig
ist, fast zu einem wissenschaftlichen System gemacht hat. Aber viele fragen
schon: Sind denn die Kirchen wirklich solche Anstalten?

Wir sind damit bei der Frage, die in den Kreisen der Kirche die Ge-
müter bewegt: Versagt die Kirche gegenüber der Zeit? Insbesondere, hat
sie angesichts des Krieges versagt? Eben las ich darüber eine kleine

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