Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,3.1916

DOI Heft:
Heft 14 (2. Aprilheft 1916)
DOI Artikel:
Vom Heute fürs Morgen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14293#0115

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
mindestens jetzt in den schweren
Kriegszeiten in dem Bewußtsein
nachsichtig zu sein, daß dem
Kunstwart so beim Durchhalten
des ermäßigten Preises geholfen
wird. sm^

Kant zur Zensur

^>ch höre von allen Seiten rufen:
k)Räsoniert nicht! Der Ossizier
sagt: Räsoniert nicht, sondern exer--
ziert! Der Finanzrat: Räsoniert
nicht, sondern bezahlt! Der Geist-
liche: Räsoniert nicht, sondern
glaubt! Nur ein einziger Herr in
der Welt (Friedrich der Große) sagt:
Räsoniert, so viel ihr wollt und wor-
über ihr wollt, aber gehorcht! Hier
ist überall Einschränkung der Frei-
heit. Welche Einschränkung aber ist
der Ausklärung hinderlich? welche
nicht, sondern ihr wohl gar besörder-
lich? — Ich antworte: Der össent-
liche Gebrauch seiner Vernunft muß
jederzeit srei sein, und der allein
kann Ausklärung unter Menschen
zustande bringen; der Privat-
gebrauch derselben aber dars östers
sehr enge eingeschränkt sein, ohne
doch darum den Fortschritt der
Ausklärung sonderlich zu hindern.
Ich verstehe aber unter dem ösfent-
lichen Gebrauch seiner eigenen Ver-
nunft denjenigen, den jemand als
Gelehrter von ihr vor dem ganzen
Publikum der Leserwelt macht. Den
Privatgebrauch nenne ich denjenigen,
den er in einem gewissen ihm an-
vertrauten bürgerlichen Posten oder
Amte von seiner Vernunst machen
darf. Nun ist zu manchen Geschäs-
ten, die in das Interesse des ge-
meinen Wesens lausen, ein gewisser
Mechanismus notwendig, vermittels
dessen einige Glieder des gemeinen
Wesens sich bloß passiv verhalten
müssen, um durch eine künstliche
Einhelligkeit von der Regierung zu
ösfentlichen Zwecken gerichtet oder
wenigstens von der Zerstörung dieser
Zwecke abgehalten zu werden. Hier

ist es nun sreilich nicht erlaubt zu
räsonieren! sondern man muß ge-
Horchen. Sosern sich aber dieser
Teil der Maschine zugleich als Glied
eines ganzen gemeinen Wesens, ja
sogar der Weltbürgerschaft ansieht,
mithin in der Oualität eines Ge-
lehrten, der sich an ein Publikum
im eigentlichen Verstande durch
Schriften wendet, kann er allerdings
räsonieren, ohne daß dadurch die
Geschäfte leiden, zu denen er zum
Teile als passives Glied angesetzt ist.
So würde es sehr verderblich sein,
wenn ein Ossizier, dem von seinen
Oberen etwas anbesohlen wird, im
Dienste über die Zweckmäßigkeit oder
Nützlichkeit dieses Besehls laut ver-
nünfteln wollte; er muß gehorchen.
Es kann ihm aber billigerweise nicht
verwehrt werden, als Gelehrter über
die Fehler im Kriegsdienste Anmer-
kungen zu machen und diese seinem
Publikum als zur Beurteilung vor-
zulegen. Der Bürger dars sich nicht
weigern, die ihm auferlegten Ab-
gaben zu leisten; sogar kann ein
vorwitziger Tadel solcher Auslagen,
wenn sie von ihm geleistet werden
sollen, als ein Skandal bestraft wer-
den. Ebenderselbe handelt dem-
ungeachtet der Pflicht eines Bürgers
nicht entgegen, wenn er als Ge-
lehrter wider die Nngeschicklichkeit
oder auch Nngerechtigkeit solcher
Ausschreibungen össentlich seine Ge-
danken äußert. —

Diese Auseinandersetzung mit der
Zensur seiner Zeit besindet sich in
Kants (786 erschienener Schrift „Was
ist Aufklärung?" Wir irren schwer-
lich, wenn wir auch seine persön-
lichen Ersahrungen hier zwischen
den Zeilen herauslesen. Nnsre heuti-
genNöte sind freilich viel verwickel-
ter. Kant konnte ja nicht einen
Zustand der Welt voraussetzen, in
dem die feindlichen Völker gegen-
seitig alle gedruckten Sätze durch-
stöbern, um daraus politische Was-
fen sür den Kampf in Neutralien
zu schmieden.

87
 
Annotationen