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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,3.1916

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Heft 16 (2. Maiheft 1916)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14293#0193

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Landwirt „nicht verdenken", daß er
den Gemüsebau vernachlässigt. War-
um schlachten und pflanzen sie?
Damit wir im tzungerkrieg gegen
England bestehn? „Wir": nicht
bloß der Fleischermeister und der
Gärtnereibesitzer, sondern wir alle,
die wir nun einmal nicht umhin
können, zu essen? O du weltfrem-
der Moralist! Der Produzent pro-
duziert und der tzändler handelt,
damit es ihm wohl ergehe auf Er-
den. Iür den welterfahrenen Mann
ist es die unansechtbare Voraus-
setzung aller wirtschaftlichen Tätig-
keit, daß nicht die Pslicht gegen die
sogenannten NLchsten und das Ver-
antwortungsgefühl gegen das hoch-
gepriesene Vaterland, sondern das
Geschäft den Arbeitseifer regelt.

Geben wir einmal einen Augen-
blick zu: es sei das Natürliche, daß
unsre Produzenten und tzändler
eines „Anreizes" in Form von un-
gewöhnlich hohen Preisen bedürfen,
um den Markt jetzt Hinreichend ge-
füllt zu erhalten. Was folgt daraus
für die Verbraucher? Daß auch
sie eines besondern Anreizes be-
dürfen, um den Markt möglichst
wenig von Waren zu entleeren, um
durch Sparsamkeit die Gütermenge
zwar nicht produktiv, aber doch effek-
tiv zu vermehren. Aus der volks-
wirtschaftlichen Theorie des „An-
veizes" solgt mit zwingender Logik,
daß wie der Produzent zum Produ-
zieren, so der Verbraucher zum Spa-
ren durch Geldgewinn „angespornt"
werden muß. Also fordern wir gleich
um gleich: Ie weniger Waren einer
derbraucht, um so mehr Geld muß
er dafür gewinnen. Ins Praktische
übersetzt würde sich das etwa so aus-
nehmen: Den Konsumenten würden
bestimmte Summen für abgelieferte
unbenutzte Brot-, Butter-, Fett-,
Milch-, Gemüse-, Fleischkarten von
Gemeinde oder Staat ausbezahlt.
Ein lustiger Gedanke? Freilich, aber
er folgt mit Hieb- und stichfester Lo-

gik aus der „Natürlichkeit" des
Grundsatzes, mit dem die Produ-
zenten und HLndler ihren Anspruch
auf erhöhte Gewinne verfechten.
Lachen wir über den Mann, der da-
sür bezahlt haben will, daß er aus
vaterländischem Verantwortungsge-
sühl weniger ißt und trinkt, so dür-
fen wir getrost auch über den Mann
lachen, der einen „Anreiz" durch
höhere Gewinne fordert, umseiner
vaterländischen Pflicht zu genügen.

Die Lehre vom Anreiz scheint
neuerdings mehr und mehr durch-
zudringen. Wir möchten zur Vor-
sicht gegen sie raten. Da, wo man
aus praktischer Politik vorübergehend
„Anreize" schaffen muß, soll man
doch niemals grundsätzlich deren
innere Berechtigung zugeben.
Es muß ihnen der Charakter eines
im Grunde faulen Notbehelss ver-
bleiben. Denn erstens ist die Theo-
rie, mit der man sie begründet,
schlecht gedacht, und zweitens bedeu-
tet ihre Anerkenntnis das Hinab-
gleiten in eine sittlich tiesere Ebene.
Es muß um der allgemeinen sitt-
lichen Anschauungen unsres Volkes
willen als Grundsatz bestehn blei-
ben, daß die Pflicht gegen das Va-
terland nicht eine Sache des Lohnes
ist. Das ist sie zu keiner Zeit,
am allerwenigsten aber in der
Kriegszeit. Wie für den militäri-
schen Krieg die Militärpflicht, so gilt
für den wirtschaftlichen Krieg die
Wirtschaftspslicht, ohne jeden Abzug.
Du hast nach all deinen Kräften zu
pslanzen, zu mahlen, zu backen, zu
schlachten, zu verkaufen usw. nicht
nur, damit du Geld verdienst, son-
dern vor allem, weil es das Vater-
land von dir fordert, die Allgemein-
heit, zu der du gehörst und die dich
in hundert Dingen mit versorgt.
Keiner übt jetzt seinen Beruf nur
für sich aus, das muß auch amt-
lich bei jeder Gelegenheit den Köp-
sen eingehämmert werden. Wohin
sollten wir kommen, wenn selbst von

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