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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,3.1916

DOI Heft:
Heft 17 (1. Juniheft 1916)
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Stapel, Wilhelm: Und immer wieder: Wucher
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https://doi.org/10.11588/diglit.14293#0233
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Llnd immer wieder: Wucher

offten wir nicht, daß zwei von den Apokalyptischen endgültig von
v^der Erde vertrieben wären, der rnit dem Bogen und der mit der
-^/Wage? Der mit dem Bogen freilich lauert auf seinem weißen Pferde
nur draußen herum, selten gelingt es ihm, einen Pfeil unter die Menschen
zu senden. Der andre aber tummelt sich mitten unter uns: über den
wüstliegenden Ackern Rußlands und Frankreichs, über den großen Städten
der britischen Insel, um die herum die Schiffe versinken, über dem um-
lagerten Deutschland. „Und ich sah, und siehe, ein schwarz Pferd. Und
der darauf saß, hatte eine Wage in seiner Hand. Und ich hörte eine
Stimme unter den vier Tieren sagen: Lin Maß Weizen um einen
Groschen und drei Maß Gerste um einen Groschen, und dem Ol und Wein
tu kein Leid!" Und da das Gespenst, das durch keine Wirtschaft und
keine Technik sich will bannen lassen, immer surchtbarer unter den Menschen
aufwächst, was tun sie? Sie zanken sich.

Nicht das Gespenst der Teuerung ist das Gefährliche. Vor klaren
Augen und furchtlosen Herzen weicht jedes Gespenst. In unserm G e--
zänk liegt die einzig wirkliche Gefahr.

Daß ein Krieg wie dieser nicht ohne Teuerung vorübergehen kann,
ist natürlich. Wunderbar, daß die Teuerung nicht viel schlimmer istl
Erinnern wir uns doch, wie wir es noch vor zwei Iahren aus wirtschaft-
lichen Gründen für unmöglich hielten, daß ein moderner europäischer Krieg
länger als ein paar Monate dauern könne. Niemand hätte damals
diese wirtschaftliche Kraftentfaltung für möglich gehalten, die wir heut,
trotz allem, erleben. Auch ohne den englischen ^Hungerkrieg^ hätten
wir jetzt in Deutschland Teuerungszeit, vielleicht sogar eine schlimmere,
denn eben die Absperrung hat uns zur Konzentration und Organisation
der Kräste gezwungen. Wir brauchen nur über die Grenzen zu sehn:
unsre Feinde haben eine ebenso arge, ja ärgere Teuerung bei sich im
Lande. Ls ist ferner natürlich, daß von der Not gerade die sittlich min--
derwertigen Menschen profitieren, denen der eigene Prosit oberstes Gesetz
ist. Beide durchaus „natürlichen" Erscheinungen, die Teuerung und das
Parasitentum, hätten nur vermieden werden können, wenn wir, erstens,
eine auf Iahre hinaus berechnete Kriegswirtschaft bereits im Frieden
organisiert und wenn wir, zweitens, alle Staatsbürger zur Pflicht gegen
die Allgemeinheit erzogen hätten. Warum sind wir erstaunt, daß wir
da, wo wir nicht säten, Unkraut ernten?

Glaubt man denn, ein Krieg, der jede Privatwirtschaft und alle
Waren in Mitleidenschaft zieht, sollte sich ohne Knappheit vieler Waren
und ohne große Preissteigerungen äbspielen? Lrst wenn wir darauf
verzichten, uns über eine Naturnotwendigkeit zu empören, werden wir
die nötige Nuhe haben, um das natürliche Geschehen zu durchforschen und
durch Linsicht in seine Bedingungen so weit Meister darüber zu werden,
wie menschenmöglich ist.

Aber was tun wir statt dessen? Der Händler beschuldigt den Produ-
zenten, daß er Wucher triebe, der Produzent sagt dem Händler: nein, d u
bist der Wucherer. Und der Verbraucher, der dem Streit ratlos zuhört,
erklärt beide für Wucherer. Schließlich einigen sich alle in einer Anklage
gegen den Beamten, der die Parteien nicht genügend bändigte. Da die
Menschen nicht ohne „Schuld^ auskommen, wird die „Schuld" an den

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