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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,3.1916

DOI Heft:
Heft 18 (2. Juniheft 1916)
DOI Artikel:
Hermann, Alexander: Das Deutschtum in Rußland
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https://doi.org/10.11588/diglit.14293#0296

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geschätzt, häufig auch selbst zur Verwaltung hoher uud Höchster Staats--
ämter berufen, dann immer mehr zurückgedrängt, derfolgt, — seit dem
Ausbruch des Krieges entrechtet, des öffentlichen Gebrauchs ihrer Mutter-
sprache beraubt, den Beschimpfungen des chauvinistischen Pöbels schutz-
los preisgegeben.

In den Baltischen Provinzen bilden die etwa 200 000 Deutschen
etwas weniger als ein Zehntel der Gesamtbevölkerung. Aber fast der ge-
samte Großgrundbesitz des flachen Landes ist bekanntlich in deutschen Hän-
den, und die städtischen Immobilien sind überwiegend (oft sogar der Zahl,
fast immer ihrem Steuerwerte nach) in deutschem Besitz. Im Bankwesen,
im Großhandel und in der Industrie genau dasselbe Bild: überall sind
die Deutschen ausschlaggebend, sie besitzen und leiten die bedeutendsten
Anternehmungen. Noch gehört ihnen also die wirtschaftliche Vor-
macht im Lande, — aber nicht unangefochten, wie früher. Immer schärfer
wird der Wettbewerb der Lsten und Letten. Ihre zähe Tüchtigkeit, Spar-
samkeit und Bedürfnislosigkeit, ihr unleugbares Geschick bei der Organi-
fation nationaler wirtschastlicher Verbände, nicht zum wenigsten ihr zah-
lenmäßiges Abergewicht, scheinen ihnen den wirtschastlichen Sieg für die
Zukunft um so schneller zu versprechen, wenn eine deutschfeindliche Re-
gierung sie unterstützt.

Ahnlich liegen die Verhältnisse bekanntlich auf kulturellem Gebiet.
Die meisten Vertreter akademischer Berufe sind Deutsche, die bedeutendsten
wissenschastlichen Vereine und Gesellschaften sind in ihrer Hand, der
deutsche Buchhandel findet dort nach wie vor ein sehr reiches Absatzgebiet.
Seit der Russisizierung der staatlichen Lehranstalten haben die „Deutschen
Vereine" der drei Provinzen, tatkräftig unterstützt von den deutschen
„Ritterschaften", das ganze Gebiet mit einem Netz deutscher Privatschulen
übersponnen: alle Schulgattungen sind dabei vertreten, von der schlichten
deutschen Volksschule bis zur Höheren Töchterschule und dem humanistischen
Gymnasium,- auch Lehranstalten für kausmLnnische und technische Spezial-
bildung gibt es. Aber die edelste baltische Kulturstätte, die deutsche Nni-
versität Dorpat, aus der eine Fülle deutschen geistigen Lebens auch über
die Reichsgrenzen nach Deutschland geflossen ist, konnte nicht mehr ersetzt
werden. Um die staatlichen Rechte zu erlangen, mußten die Balten
russische Universitäten besuchen, und die MLngel der dort erworbenen
Bildung ließen sich nur unvollständig durch Bücherstudium und einige
Semester an deutschen Hochschulen ersetzen. So wandten die besten wissen-
schastlichen Köpse der jungen Generation der Heimat den Rücken, sie
suchten und sie fanden auch meist im alten Mutterlande ein Arbeitsfeld —
etwa 60 bis 70 Hochschullehrer baltischer Herkunft wirken eben in Deutsch-
land, Osterreich und der Schweiz. Ein solcher Zustand muß auf die Dauer
an der Kraft des Kulturlebens zehren.

Und doch harrten die Balten aus bis zuletzt. Sie verteidigten zäh
jeden Fußbreit Boden im wirtschastlichen Wettbewerb und im Kampf für
ihre völkische Eigenart. Den Mut zum Ausharren gab ihnen — bewußt
oder unbewußt — die Erfahrung ihrer 700 jährigen Geschichte. Als zu
Ende der sechziger Iahre des vorigen Iahrhunderts die ersten Vorstöße
der Panslawisten gegen das baltische Deutschtum begannen und ein ge-
wisser Iuri Samarin in einer giftigen Anklageschrift die Vernichtung der
baltischen Landesverfassung sorderte, schleuderte ihm der Dorpater Pro-
fessor Schirren die wuchtige „Livländische Antwort" entgegen.

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