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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 1.1897-1898

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Tempel-Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.6384#0091
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Tempel-Kunst.

68 Fidus. —

Tempel-kuNst.

T^IN FREUND UND KUNSTFREUND
*■—J sagte zu mir: »Ich möchte von Deinen
Malereien keine an meinen vier Wänden

»Nicotina.« (Noch nicht vervielfältigt.)

Entw.: lina burger—oetzsch b. Leipzig.

haben, ich könnte deren dauernden Anblick
nicht ertragen, sie sind zu inhaltsvoll.«

»Da geht es Dir gerade wie mir« —
entgegnete ich — »es ist schlimm genug, dass
unsereiner aus Mangel an Raum (oder Ab-
nehmern) all das Zeug um sich haben muss;
und besonders an mangelhaften Entwürfen
laufe ich Gefahr, mich stumpf zu sehen, ehe
ich, bei meiner materiellen Unfreiheit, dazu
komme, sie der ersten Empfindung ent-
sprechend, auszuführen. Diese Abstumpfung
tritt aber nicht nur bei diesen Entwürfen
und überhaupt meiner Malerei ein, sondern

bei aller eigentlichen Kunst; bei jeder Em-
pfindungskunst, die nicht wie das Kunst-
gewerbe, dem Schmucke des täglichen Lebens
dienen muss oder sollte. Sieh', das ist gerade,
was mir bei der Kunst am Herzen liegt,
was mir immer klarer wird und was
ich laut predigen möchte, weil es heut-
zutage vergessen ist oder zu sein
scheint: Die reine und hohe Kunst
wird Festkunst werden! Sie darf nicht
ans Haus gefesselt werden, an die
Alltagsfrohne. Sie muss dadurch auch,
wie im alten Griechenlande — und
künftig noch viel mehr, denn wozu
gibt es einen Fortschritt — Gemein-
gut des Volkes werden. Sie muss
Jedem nach ihr dürstenden zugänglich
werden, dadurch, dass sie Tempel-Kunst
wird. In Tempeln, Museen, Festspiel-
häusern, überhaupt an Fest- und Weihe-
stätten müssen ihre Kräfte wieder zu
organischen » Gesammtkunstwerken «
zusammenwirken, anstatt sich im »Pri-
vatbesitze« zu zerstreuen. »Jetzt kommst
Du wieder auf Abwege!« möchtest Du
sagen aber im Grunde denkst Du
ebenso und es ist ja auch so selbst-
verständlich. Was soll ein Privat-
mensch mit Kunstwerken, die ihm auf
die Dauer, so wie Dir meine, unerträg-
lich, mindestens gleichgiltig werden
müssten, wenn er ihren beständigen
Besitz wirklich durch beständiges Be-
trachten ausnützen wollte. Ein zeit-
weiliges Betrachten könnte er aber
auch an obengedachten öffentlichen
Stellen vornehmen und inzwischen
haben Andere etwas davon. Du wirst sagen,
das sei demokratisch gedacht, und der Pri-
vatbesitz habe die Entwickelung der Kunst
erst ermöglicht. Gut — die Kunst kann
sich aber so entwickeln, so »inhaltsvoll«
werden, dass sie über den Privatbesitz und
das Privatbedürfniss hinauswächst.

Uebrigens, da fällt mir ein, die Japaner,
die uns im Stylgefühle über sind und unsere
Stylrevolution veranlasst haben, sind auch
hierin weiter. Sie haben eigentliche Bilder
nicht als ständigen Wandschmuck in Möbel-
rahmen, sondern sie hängen aufrollbare Ge-
 
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