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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 18.1906

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Michel, Wilhelm: Phantasie und Erfindungsgabe
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https://doi.org/10.11588/diglit.8554#0054
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PHANTASIE UND ERFINDUNGSGABE.

Phantasie und Erfindungsgabe werden
oft mit einander verwechselt. Wenn
man von der Zauberin Phantasie, von
einer gestaltenreichen Phantasie spricht,
gebraucht man das Wort unbewusst als
gleichbedeutend mit Erfindungsgabe, also
in einem Sinne, den ich nicht gerade
falsch, aber doch ungenau und schwan-
kend nennen möchte. Die üblen Folgen
dieser Verwechselung treten schon an
dem Eigenschaftswort »phantastische her-
vor, bei dem ein ganz leiser Unterton der
Geringschätzung fast immer mitklingt.
Aber auch eine phantastische Darstellung
kann äusserst phantasielos vorgetragen
werden, und umgekehrt kann sich in einer
beliebigen Wirklichkeitsschilderung der
volle Reichtum einer begnadeten Phan-

tasie entfalten. Phantasie kann der Er-
findung vielleicht entraten, nie aber die
Erfindung der Phantasie.

Da bildende Kunst und Dichtung eine
ganze Reihe aesthetischer Grundbegriffe
und Grundoperationen gemeinsam haben,
darf ich der grösseren Deutlichkeit halber
wohl auch die Schriftkunst um ein Bei-
spiel zu dem in Rede stehenden Thema
angeben. Shakespeare hat die Fabel seines
grössten Meisterwerkes, des »Macbeth«,
bekanntlich der alten schottischen Chronik
entnommen. Er hat sie entnommen, aber
nicht übernommen. Wesentliche Züge des
historischen Berichtes erfuhren unter seinen
Händen eine radikale Umgestaltung. Er
hat Personen gestrichen und neue erfunden,
die Motive verändert, die Charaktere um-



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