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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 22.1908

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Muschner, Georg: Von der deutschen Tiermalerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.7006#0317

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Von der deutschen Tiermalerei.

nicht mehr als charakterloses Gattungsbild.
Wissen wir doch, dag, um bei Beispielen zu
bleiben, eine Drossel eine ganze Skala von Ge-
fühlsausdrücken zeigen kann — Kearton setjt mit
Recht unter seine Vogelaufnahmen „besorgt",
„befriedigt", „ängstlich", „verdrießlich". Wissen
wir doch, dag jedes Rotkehlchen, jede Gans ihren
eigenen individuellen Charakter hat. Es öffnen
sich hier also ungeheuerliche Perspektiven für
die Eroberung der Charakter-, Lebens- und Milieu-
erkenntnis der Tierwelt durch — die Kunst. Was
auf die Wissenschaft nur guten Einfluß haben
kann, vor allem einen verlebendigenden. Und
für die praktische Verwertung solcher Kunst für
Volk und Schule möchte ich nur folgendes als
Gesichtspunkt sagen: das künf-
tige Tierbild ist dann gelöst,
wenn das Kind in der Schule
es wissenschaftlich erkennen
kann und — der feinsinnige
Kunstkenner es doch auch als
Kunstwerk schärjen mufj. —
Die Kunststadt München hat
keinen zoologischen Garten!
Auf ein anderes Hülfsmittel
für die deutsche Tiermalerei
möchte ich an dieser Stelle
noch aufmerksam machen.
Bekanntlich haben die Eng-
länder und Amerikaner seit
Dezennien eine hoch kulti-
vierte Tierphotographie. In
besseren amerikanischen
Kinderzeitschriften findet man
verblüffend gute Aufnahmen
von Tieren im Freien, auch
von seltenen, von — Kindern
zwischen 10 und 15 Jahren!
Die großen Publikationen der
Ausländer auf diesem Gebiet
sind bekannt. Endlich hat
auch Deutschland ein solches
Werk. Es heißt „Lebens-
bilder aus der Tierwelt", her-
ausgegeben von Meerwarth
und beginnt in R. Voigtländers
Verlag in Leipzig in Serien
zu erscheinen. Das Werk
sagt mit Recht, daß es das
Tierbild der Zukunft bringt —
eine Art Tierbild der Zukunft,
das das hier geforderte Kunst-
tierbild der Zukunft ergänzen
wird. DieseTierphotographien
sind tatsächlich berufen, un-
sern Künstlern die Augen zu

öffnen über die Fülle der Probleme, die das
Tier für die Kunst noch zu geben im Stande ist.
Hier sind Wunder zu sehen an Ausdruck, Be-
wegung, Charakter, Bildmöglichkeit. — München
hat keinen Zoologischen Garten. Vielleicht, daß
die geplante Schaffung den Anfang bedeutet zu
einer neuen deutschen künstlerischen Tierkunde.
Vielleicht, daß in dieser fortschrittlichsten Kunst-
stadt auch die neue Tierkunst ersteht. Daß
hier zuerst Künstler und Gelehrte versuchen,
zusammen zu arbeiten. Aber die Revision dieses
Gebietes muß, scheint mir, von oben herab vor
sich gehen, damit endlich einmal die traurige
deutsche Tierillustration verschwindet. —

MÜNCHEN. GEORG MUSCHNER.

PROFESSOR RICHARD HÖLSCHER DARMSTADT.

»Korbtriigerin«.

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