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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 27.1910-1911

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Roessler, Arthur: Kunst, Kunstgewerbe und Publikum
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https://doi.org/10.11588/diglit.7379#0017
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PROF. AD. HENGELER.

»Putte«. Ölgemälde.

KUNST, KUNSTGEWERBE UND PUBLIKUM.

Wir wollen uns heute nicht mit der tüfteln-
den Untersuchung aufhalten, was Kunst
ist, was größere oder mindere Kunst ist; wir
wollen auch nicht darüber disputieren, was
schön ist, denn es würde uns dies zu weit ab-
seits führen, gibt es doch vielerlei Arten der
Schönheit. Die Goncourts nannten schön, was
unerzogenen Augen abscheulich vorkommt, was
deine Dienerin aus

Instinkt scheußlich findet;
Rodin hält ein Ding nur dann für schön, wenn
es wahr ist und hegt die Meinung, daß es außer-
halb der Wahrheit keine Schönheit gibt; Wiertz
sagte, das Schöne ist weiter nichts, als was uns
gefällt; Constable erklärte, daß es überhaupt
nichts Häßliches gibt, daß er in seinem Leben
niemals ein häßliches Ding sah, denn wie immer
die Form sein mochte, Licht, Schatten und
Perspektive machten es unter allen Umständen
schön. Wir aber halten es mit Töpffer und
sagen: das Schöne steht über und außerhalb
aller Formeln, worin man es einsperren möchte.
Wir wollen uns daher heute und hier damit be-
gnügen zu wissen, daß Schönheit beglückt ; denn
jeder von uns, nicht nur der Fachmann, der sich

VON ARTHUR ROESSLER WIEN.

mit Kunst berufsmäßig beschäftigt, empfindet
gewiß das eine oder andere Ding als schön und
fühlt sich durch das von ihm als Schönheit Er-
kannte höher, besser, freudiger oder ernster
gestimmt. Nun ist es gewiß richtig, daß das
Verständnis und Empfinden für das was schön
ist, verfeinert, vertieft, verstärkt werden kann,
daß man viel zulernen muß, um manchmal er-
kennen zu können, warum ein Ding schön ist;
aber eben so richtig ist, daß in jedem gesunden,
mit seinen unverdorben vollen Sinnen begabten
Menschen das Verlangen nach Schönheit leben-
dig wirkt. Zum Beweise dessen will ich nur auf
die Naturvölker hinweisen, bei denen wir oft
einen ganz erstaunlich entwickelten Kunstsinn
finden. Das Schönheitsverlangen ist demnach
ein menschlicher Urtrieb.

Gewiß schreien heute mehr Menschen nach
Brot als nach Kunst. Leider mit Recht. Trotz-
dem sollten die Menschen an der Kunst nicht
gleichgültig vorbeigehen, denn sie gehört nach
der übereinstimmenden Ansicht aller großen und
irgendwie bedeutenden Männer zu den zwar
höheren, aber auch wichtigsten Lebensnotwen-

1910/U. I. !.

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