DOI Artikel:
Breuer, Robert: Dekorative Plastik
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.7447#0046
PROFESSOR JOS. WACKERLE - BERLIN. PLASTIKEN AM NEUBAU DER MÜNCHENER RÜCKVERSICHERUNGS-GESELLSCHAFT.
DEKORATIVE PLASTIK.
In zwei Reihen hat sich die moderne Deko-
rationsplastik entwickelt: als Kleinplastik
und als plastischer Schmuck der Architektur.
Es ist nicht ganz zufällig, daß gleichzeitig die
Porzellanmanufakturen und die Monumental-
bauten plötzlich wieder plastische Begabungen
nutzen können. Es ist dies vielmehr kennzeich-
nend für das Erwachen der beiden Empfindungs-
strömungen, die der modernen Kunst den Cha-
rakter bestimmen: Gotik und Rokoko. Die
Bildhauer, die Messel entdeckte, daß sie die
Schlankheit seiner Pfeilerbauten mit einem Or-
namentgeriesel aus Menschenleibern bevölker-
ten, waren genau so zeitbedingt, wie die spitz-
fingrigen Modelleure des vielbeweglichen und
doch klingend harten Porzellans. In beiden Fäl-
len handelt es sich um eine Auslösung des
Spieltriebes, der durch die harte Logik der
neuen Konstruktionsgesinnung sich kaum noch
zu äußern vermochte. Die Plastik stahl sich
sozusagen an die logisch gebundenen Fassaden
heran und hinein in die der Zweckmäßigkeit ge-
horchenden Wohnräume. Eigentlich war es eine
Art von Mirakel, eine Architektur, die fast eifer-
süchtig darauf war, dem Ingenieurhaften blutver-
wandt zu sein, von zärtlichen, melancholischen
und mystischen, asketischen und schwellenden
Figürchen umsponnen zu sehen; wie das etwa
bei dem Hallenvorbau an dem Wertheimhaus-
Potsdamerplatz der Fall ist. Eigentlich wirkt es
stets ein wenig paradox, die nüchterne Kühle
eines Raumes von Behrens oder van de Velde
von den gleißenden Effekten der Wackerle-
Püppchen durchklingelt zu fühlen. Solche
Dissonanzen, deren Reiz zu den glücklichsten
Sinnlichkeiten der Gegenwart gehört, lassen
sich dennoch ebenso leicht begreifen wie recht-
fertigen, ja sie gehören notwendig in das Welt-
3«
DEKORATIVE PLASTIK.
In zwei Reihen hat sich die moderne Deko-
rationsplastik entwickelt: als Kleinplastik
und als plastischer Schmuck der Architektur.
Es ist nicht ganz zufällig, daß gleichzeitig die
Porzellanmanufakturen und die Monumental-
bauten plötzlich wieder plastische Begabungen
nutzen können. Es ist dies vielmehr kennzeich-
nend für das Erwachen der beiden Empfindungs-
strömungen, die der modernen Kunst den Cha-
rakter bestimmen: Gotik und Rokoko. Die
Bildhauer, die Messel entdeckte, daß sie die
Schlankheit seiner Pfeilerbauten mit einem Or-
namentgeriesel aus Menschenleibern bevölker-
ten, waren genau so zeitbedingt, wie die spitz-
fingrigen Modelleure des vielbeweglichen und
doch klingend harten Porzellans. In beiden Fäl-
len handelt es sich um eine Auslösung des
Spieltriebes, der durch die harte Logik der
neuen Konstruktionsgesinnung sich kaum noch
zu äußern vermochte. Die Plastik stahl sich
sozusagen an die logisch gebundenen Fassaden
heran und hinein in die der Zweckmäßigkeit ge-
horchenden Wohnräume. Eigentlich war es eine
Art von Mirakel, eine Architektur, die fast eifer-
süchtig darauf war, dem Ingenieurhaften blutver-
wandt zu sein, von zärtlichen, melancholischen
und mystischen, asketischen und schwellenden
Figürchen umsponnen zu sehen; wie das etwa
bei dem Hallenvorbau an dem Wertheimhaus-
Potsdamerplatz der Fall ist. Eigentlich wirkt es
stets ein wenig paradox, die nüchterne Kühle
eines Raumes von Behrens oder van de Velde
von den gleißenden Effekten der Wackerle-
Püppchen durchklingelt zu fühlen. Solche
Dissonanzen, deren Reiz zu den glücklichsten
Sinnlichkeiten der Gegenwart gehört, lassen
sich dennoch ebenso leicht begreifen wie recht-
fertigen, ja sie gehören notwendig in das Welt-
3«