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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 34.1914

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Michel, Wilhelm: Überwindungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.7447#0122

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peter koch gimmeldingen (l'falz).

gemälde »appenzeller landschaft«

ÜBERWINDUNGEN.

In der Kunst handelt es sich stets um Über-
windungen; Überwindung des Buchstabens
in der Dichtung, Überwindung des Modells in
derMalerei; ÜberwindungderNaturwirklichkeit
bei jeder Art von „nachahmender" Kunst. Ab-
sicht der Kunst ist das Gestalten geistig er-
schauter Gebilde in sinnlichem Material; das
bedeutet, daß die Natur des zu erzielenden
Gebildes in einem Gegensatz zum Ausdrucks-
mittel steht. Das Ausdrucksmittel muß daher
„überwunden" werden, es muß eine gewisse
Verwandlung erfahren, ehe es zur Darstellung
des erstrebten Gebildes gefügig wird.

Besonders deutlich wird dies in der Dicht-
kunst: alles Dichten ist unter anderem ein
Kämpfen mit der Sprache. Denn die Worte
suchen ihre harte buchstäbliche Bedeutung zu
behaupten, und dürfen sie doch nicht be-
haupten, soll das über den Worten stehende
Gebilde Wirklichkeit werden. So müssen alle
Worte etwas von ihrem Eigentlichen hergeben,
oder müssen sich verwandeln lassen in etwas,

was nicht mehr bloßes geschriebenes Zeichen
für eine bestimmte Sache ist, sondern eher ein
Ton, ein Geigenstrich, eine mehrdeutige, ver-
hülltere , sinnlichere Sache. Gegenwärtig er-
lebt nun auch die Malerei die Notwendigkeit
solcher Überwindungen mit exemplarischer Deut-
lichkeit. Ihr Material ist die Anknüpfung an eine
N aturwirklichkeit. Der Geist, in dem Bestreben,
sich klarer als bisher im Gemälde zu mani-
festieren, führt einen heftigen Kampf gegen
alles, was Modell heißt. Und so ist es schließ-
lich auch in der Musik und in der Architektur.
Das „Material" der Musik ist wohl der ganze
Umkreis seelischer Erregung; das Material der
Architektur ist der Raum. Erregung und Raum
werden von diesen beiden Künsten ebensosehr
und ebensowenig „dargestellt" wie das Mo-
dell in jeder nicht naturalistischen Malerei.
Aber sie werden umgewertet, „überwunden"
zugunsten des Erhabenen, in dem der Geist
ewig sein Herrscherrecht erweist: zugunsten
der Gestalt..................w. m.

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