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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 35.1914-1915

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Behne, Adolf: Ungerechte Selbstvorwürfe
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https://doi.org/10.11588/diglit.7013#0070

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PROFESSOR EMANUEL V. SEIDL.

»TREPPENHAUS IN DER DIELE«

UNGERECHTE SELBSTVORWÜRFE.

VON DR. ADOLF BEHNE.

So wie im Leben des Einzelnen Zeiten der
Selbstzufriedenheit mit Zeiten der Vor-
würfe und des Mißbehagens wechseln, scheint
es ähnlich imLeben umfassenderer Menschheits-
gebilde zu sein. Der einzelne Künstler wirft
sich heute vielleicht stolz in die Brust, und
morgen, wenn er vor einen Rembrandt tritt,
schilt er sich einen Stümper. Ganz ähnlich
ergeht es der Künstlerschaft im großen, wenn
sie nach Jahrzehnten des Selbstbewußtseins
in eine Periode der bis zur Selbstquälerei ge-
steigerten Kritik an sich selbst verfällt.

Ein derartiger Umschlag des künstlerischen Be-
wußtseins mit seinen Folgen liegt nicht weit hin-
ter uns. Die Künstlergeneration um 1870 war
mit sich zufrieden. Sie hatte das Gefühl, Großes
und Bedeutendes zu leisten. Dann kam im
letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts eine
äußerst scharfe Reaktion. Mehr und mehr
Stimmen wurden laut, die das Schaffen der
Zeit für absolut wertlos erklärten. Was gebaut,
gemeißelt oder gemalt worden war, verdiente

nach ihnen nur den Untergang. Das eben noch
so hoch gehende künstlerische Selbstbewußt-
sein war plötzlich auf den Nullpunkt gesunken.

Neidisch richteten damals Praktiker und
Theoretiker ihrenBlick auf das architektonische
Schaffen früherer Jahrhunderte. Und aus dem
— nicht vorurteilslosen — Vergleich entstan-
den mit der Zeit einige Formulierungen, die
den klaffenden Unterschied der Schaffensweise
bezeichnen sollten. In den Schriften von
Schliepmann, Obrist, Muthesius, Schumacher
u. a. haben sie ihren Niederschlag gefunden.
Diese Schriften haben unbestreitbar Gutes ge-
wirkt und sind damit künstlerisch fraglos ge-
rechtfertigt — aber vom historischen Stand-
punkt aus enthalten sie, wie man heute wohl
verraten darf, manche Irrtümer.

Immer wieder hörte man damals die Be-
hauptung, daß jede schöpferische Zeit nur in
ihrem eigenen Stil geschaffen und sich jede
ihrer Formen selbst erfunden habe. Ist das
aber richtig? Der Historiker kennt die Er-

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