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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 35.1914-1915

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Kleine Kunst-Nachrichten
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https://doi.org/10.11588/diglit.7013#0344

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KLEINE KUNST-NACHRICHTEN.

DEZEMBER 1914.

CAÖLN. ALFRED HAGELSTANQE f. Cöln, wo
j es seit Jahren in den Kreisen der Kunst
gärt, wo Sonderbund und Werkbund sich um die
Gestaltung von Kunstanschauungen mühten, wo sich
in den gemalten Tafeln des 15. Jahrhunderts die
unbeholfene Ausdrucksgewalt der Formen mischt
mit der leuchtenden Glut reiner Farben, ein Vor-
spiel dessen, was neuester deutscher Kunst ein
unerreichtes Ziel war, birgt in sich die Keime des
Zukünftigen und Vergangenen, des Neuen und Alten,
des Oberlieferten und Fortschrittlichen. Wer sich
einlebt in diese Bodenständigkeit kölnischer Kultur,
kann ihrem Einfluß sich nicht entziehen. Wer das
aber schon in sich trägt, was an Reichtum und
Gegensätzen im heimischen Boden wurzelt, dessen
Kraft wächst hinaus über das übliche Mag; und wie
aus Wechselwirkung und Durchdringung wird aus
neuer Anregung eine neue Vertiefung.

Alfred Hagelstange besag diese Kraft, Eigenes
zu schaffen, Bodenständiges in sich aufzunehmen.
Deshalb auch war es ihm vergönnt, als Leiter der
Gemäldesammlung und des Kupferstichkabinetts
des Wallraf-Richartj-Museums die Größe des Wir-
kungskreises sich zu sichern, die seinen Verlust
unersetjüch machen wird. Sein Tod, der infolge
eines Schlaganfalles erfolgte, trifft nicht nur Cöln; er
bedeutet für die künstlerische Kultur Westdeutsch-
lands eine Minderung ihres zielsicheren Wirkens.

Alfred Hagelstange kam im Jahre 1908 als Nach-
folger Aldenhovens nach Cöln. Als Nachfolger
eines Mannes, der für die wissenschaftliche Erkennt-
nis der Cölner Malerschule von dauernder Bedeu-
tung ist. Bei der Übernahme des Museums schien
der Wirkungskreis des neuen Leiters klar abge-
steckt: den Werken der Cölner Malerschule wie
bisher so auch in Zukunft die größte Sorge ange-
deihen zu lassen. Was aber geschah? Die alte Be-
vorzugung altangesehenen Besitzes in den Formen
der alten Überlieferung schien plötzlich gefährdet.
Neue Ziele schienen als die einzigen im Vorder-
grund der persönlichen Anteilnahme zu stehen. Der
Kunst des neunzehnten Jahrhunderts, ja der Kunst
der neuesten Richtung der Malerei, schien eine
Wertschätzung gezollt, die jeder Überlieferung Hohn
sprach. Da man es nicht gewohnt war, Werke
lebender Künstler innerhalb städtischer oder staat-
licher Kunstpflege ernsthaft berücksichtigt zu finden,
erschien die Tätigkeit des neuen Leiters der Samm-
lung unverantwortlich. Erst heute, wo man die
Gesamtarbeit übersieht, wird offenbar, wie bis in
jene erste Zeit hinein die immer gleiche Fürsorge
auch für die geschichtlich bedeutsamsten Werke der
Cölner Malerschule bestand. Die völlige Neuord-

nung gerade dieses Teiles der Sammlung, vor allem
auch das umfangreiche Werk, das Hagelstange über
die Cölner Malerschule schrieb, dessen Veröffent-
lichung er leider nicht mehr erleben sollte, erweisen
es. Hier wird sich zeigen, was wohl nur wenigen
bekannt ist, dag ernste wissenschaftliche Forscher-
arbeit die unerläßliche Voraussetzung war, die Not-
wendigkeit der Erkenntnis zu schaffen, daß eine
Neuordnung der Sammlung in allen ihren Beständen
nicht zu umgehen war.

Neben dieser wissenschaftlichen Einsicht aber,
die zur Schaffung eines sicheren Urteils Vorbe-
dingung ist, besaß Hagelstange alle Fähigkeiten,
die zur Neugestaltung einer Sammlung notwendig
sind, in einem Maße wie sie nicht allzuoft ange-
troffen werden. Die Fähigkeit nämlich, sich in den
Geist, in die Ausdruckswerte eines Kunstwerkes
einzuleben, den sicheren Blick, für jedes Kunstwerk
die Aufstellung zu finden, die alle seine Vorzüge in
helles Licht seßt; endlich den reifen künstlerischen
Geschmack, für den letzten Endes die Geschlossen-
heit der Gesamtwirkung ausschlaggebend bleibt.
Er vermochte einem Lieblingsgedanken zu entsagen,
wenn es galt, das leßte Ziel zu fördern.

Das sind die Gründe, weshalb es Hagelstange
gelang, eine Neuordnung der Sammlung zu er-
reichen, die allen Anforderungen an wissenschaft-
licher Gründlichkeit und künstlerischem Geschmack
entspricht. Seine Handlungen waren bestimmt
durch die Reife einer künstlerischen Auffassung,
die in keiner Weise gebunden war durch Vorurteile
irgendwelcher Art, durch ungeprüfte Abhängigkeiten
von Regel und Überlieferung. Im Kunstwerk sah
er nur das Künstlerische. Und sein Ziel war, das
besondere Wesen und die eigenartigen Kräfte dieses
Künstlerischen mit Eindringlichkeit aufzudecken.

Um das Erreichte zu begreifen, muß man das
Gewesene überschauen. Als Hagelstange das Mu-
seum übernahm, waren durch Raummangel verur-
sacht, die Wände aller Säle unübersichtlich bis zur
äußersten Grenze mit Bildern behangen. Als nun
der neue Leiter nicht davor zurückschreckte, eine
Anzahl künstlerisch weniger bedeutsamer Werke
aus den Ausstellungsräumen zu entfernen, um für
die besten Werke Entfaltungsfreiheit zu gewinnen,
sah er sich schwersten Angriffen preisgegeben. Als
es dann aber gelang, durch Mitbenutzung der Räume
des Cölner Kunstvereins und der antiken Samm-
lung die Möglichkeit einer guten Aufstellung für
die nur zeitweilig aus der Sammlung verbannten
Werke zu schaffen, zeigte sich mit einem Schlage,
wie verdienstvoll diese folgerichtige, mißverstandene
Tat war. Mit voller Berechtigung kann man sagen,

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