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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 35.1914-1915

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Raphael, Max: Der Deutsche Stil
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https://doi.org/10.11588/diglit.7013#0480

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DER DEUTSCHE STIL.

In einem Buch, auf das man wegen seiner
völkischen Fragestellung gewiß zurück-
kommen wird, sobald sich die so gesteigerten
nationalen Leidenschaften auf das Geistige
wenden werden, untersucht Heinr. Gerstenberg
das Wesen der letzten Entwicklungsstufe des
gotischen Stils. Nachdem er ihre Eigenart durch
die drei Begriffe der Bewegungsverlangsamung,
Verschleifung und Bildmäßigkeit umschrieben
hat, sucht er nachzuweisen, daß sie Merkmale
eines „spezifisch germanischen Stils" sind.
Schon Wölfflin hatte in seinem Dürer behauptet,
daß dieser spätgotische Stil in gewissem Sinne
der deutsche Stil überhaupt sei, sodaß der
Gegenstand der denkbar günstigste für die Fest-
stellung der Eigenart der deutschen Phantasie
zu sein scheint. Diese erkennt der Verfasser
(in einem für weiteste Kreise überaus lesens-
werten Kapitel von der Sondergotik als deut-
schem Stil) in ihrer langsamen Bewegung, ihrer
irrationalen, sprunghaften Art und in der Ab-

sicht auf Stimmung, auf einen „gelösten Seelen-
zustand, der in unaufhörlichem Weitergleiten
verschwebt" und der konzentriert bestimmten
Affektkunst des Südländers entgegengesetzt ist.
Der große Vorzug der näheren Bestimmung
dieser Begriffe liegt darin, daß der Verfasser
ihnen einen durchaus formalen Inhalt gibt und
damit den energischen Versuch macht, deutsches
Wesen nicht nur in dem stofflichen Vorwurf
und der allgemeinen Gefühlslage seiner Auf-
fassung zu begreifen, sondern in der Art und
Weise, wie der Stoff durch die Auffassungs-
organe des deutschen Menschen und durch die
Ausdrucksmittel des deutschen Künstlers be-
handelt wird. Demgegenüber können wir freilich
das Ergebnis des Verfassers von vielfachen
Begrenzungen nicht freisprechen; es fehlt nicht
nur notwendiger Weise eine planmäßige Aus-
beutung des Materials, weil eine den schöpfe-
rischen Prozeß in seiner Gesamtheit umfassende
Kunsttheorie mangelt, sodaß die Begriffe wie

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